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Meine Sprache und ich (1968), characterized by its author, Ilse Aichinger, as "narration," can be read as a reflection on language and existence in an extreme borderline situation. Aichinger undoubtedly refers to the persecution and extermination of the Other in the Holocaust, but instead of discussing this as a historically unique occurrence, she treats its impact on the language and existence of the individual. While the "I" still attempts to communicate by means of a speech that the text records, its unique personal language begins to detach itself as an Other, refusing all further communication. The epochal achievement of Aichinger's analysis, formulated when the Linguistic Turn was at its peak, is confirmed by a comparison with Jacques Derrida's much later ideas in Monolingualism of the Other (1996).
"eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen"
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 19
Meine Sprache und ich ist der Titel eines, wie Sigrid Weigel meint, "vielleicht nicht zufallig 1968 entstandenen"2 kurzen Prosatextes von Ilse Aichinger, der zuerst in einer Sondernummer der ZeitschriftSpektrum in der Schweiz erschienen ist.3 Zehn Jahre spater verwendete Aichinger ihn noch einmal als Titel einer Sammlung von Erzahlungen, die 1978 im Fischer Verlag in Frankfurt herauskam; er gehcrt zu ihren bekanntesten Pragungen und hat zweifelsohne programmatischen Charakter. Pointierungen solcher Art hat Aichinger jedoch spater zuruckgenommen; die gleichnamige Sammlung wurde nicht wieder aufgelegt und auch in der in den neunziger Jahren herausgegebenen Werkausgabe erscheint der Titel nicht mehr. Hier steht der Text Meine Sprache und ich nun wieder allein fur sich; er beschließt den Band Eliza Eliza, der die Erzahlungen aus den Jahren 1958 bis 1968 versammelt.
Aichingers diskrete Zurucknahme, die fur ihr Schreiben insgesamt signifikante Art der Verschwiegenheit, begegnete freilich in der Rezeption ihrer Texte einer Praxis der Marginalisierung, wo nicht gar des Verschweigens, die von einem eklatanten Mangel im Bemuhen um ein Verstandnis der subtilen Gesten und Sprachformen der Autorin zeugt. Paradigmatisch lasst sich dies in Bezug auf den hier zu untersuchenden Text anhand eines Standardwerks zur Gegenwartsliteratur seit 1968 zeigen, das Klaus Briegleb und Sigrid Weigel 1992 herausgegeben haben.4 Der Band bezeugt die nach wie vor anhaltenden Schwierigkeiten der Germanistik, Ilse Aichinger trotz aller ihr zugebilligten Anerkennung der Literaturgeschichte der Gegenwart tatsachlich einzuschreiben. Obwohl sie im dargestellten Zeitraum sechs Bucher mit...