Content area
Full text
ANNA KAMINSKY / DIETMAR MÜLLER / STEFAN TROEBST (Hg.): Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europä - er. Göttingen: Wallstein, 2011. 566 S. = Moder - ne Europäische Geschichte, 1. ISBN: 978-38353-0937-1.
Auf eine Konferenz im Jahr 2009 zum 70. Jah - restag der Unterzeichnung des Hitler-StalinPakts geht der von Anna Kaminsky, Dietmar Müller und Stefan Troebst herausgegebene Sammelband zur ück. Darin beleuchten 24 Artikel das Abkommen vom 23. August 1939 unter der Perspektive einer europäischen Erinne - rungsgeschichte. Wie JAN LIPINSKY in seinem Beitrag for muliert, handelt es sich bei dem Pakt um eine völkerrechtlich einzigartige, "bei - spiellos zynische Missachtung von Freiheit, Souveränität, Unverletzlichkeit, ja Existenz dritter Staaten und Völker, die schon während des Zweiten Weltkriegs zur Gewissheit wurde". Dass nun die historiographische europäische Dimension des Abkommens seit 1939 bis zu unserer Zeit in einer Gesamtdarstellung vor - liegt, das ist das große Verdienst des höchst in - for mativen und vielschichtigen Buchs.
Müller und Troebst fragen eingangs nach dem Stellenwert des Pakts in der europäischen Geschichtsschreibung der einzelnen Länder. Ihre Einführung liefert nicht nur eine Fülle an Literatur in den Fußnoten, sondern auch eine wichtige Begriffsgeschichte: Derzeit dominieren vor allem die Bezeichnungen "MolotowRibbentrop-Pakt" und "Hitler-Stalin-Pakt / Nazi-Soviet Pact" den öffentlichen Diskurs, während "Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt" weitgehend aus der Mode gekommen ist. Hinter diesen Begriffen verbergen sich Deu - tungen, auf die DAN DINER in seinem Eingangsessay eingeht. Ausgehend von der Inter - pretation des berühmten Propagandafotos einer angeblichen deutsch-sowjetischen Militärparade vom 22. September 1939 im damaligen polnischen Brest (in Wahrheit zeigen die Fotografien den deutschen Abzug aus der Stadt und die damit einhergehende sowjetische Übernahme), geht Diner auf den deutsch-sowjetischen Pakt als Ausgangsdatum einer vierten Teilung Polens, einer angelsächsischen Vorstellung über Mechanismen von Totalitarismen und der sich 1939/40 abzeichnenden sowjetisch-deutschen kriegerischen Auseinandersetzung ein.
STEFAN TROEBST zeichnet die Debatten um eine europäische Erinnerungspolitik an das Abkommen im Europäischen Parlament und die darauf folgenden Verwicklungen mit ande - ren Staaten - vor allem Russland - nach, die aufgrund des Beitritts von acht Staaten Ostmit - teleuropas in die Europäische Union am 1. Mai 2004 aufkamen. Diese Staaten, zumeist durch das Abkommen direkt betroffen, drangen dar - auf, in Europa in...