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1. Die strikt völkerrechtliche Perspektive
Warum ist das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft so umstritten? Sicherlich auch deshalb, da in dieser Frage ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen wurde, der vielfach noch nicht zur Kenntnis genommen worden ist.
Wenn wir uns die Situation im 19. Jahrhundert ansehen, so hatte das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft keine wirklich große Relevanz.1) Die Individuen waren kaum mobil; die Staaten sahen in ihren Bürgern Untergebene, die sie für die Erfüllung von Pflichten (insbesondere Wehrpflicht und Steuerpflicht) heranziehen konnten. Die Staatsangehörigen waren das Kapital der Staaten, das sie mit niemandem teilen wollten. Der Bürger hatte loyal zu sein und diese Loyalität war gefälligst eine ausschließliche.
Diese Sichtweise währte sehr lange fort und wir finden sie noch im Europarats-Abkommen "über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern aus 1963. Dort finden wir in der Präambel folgende Wendung:
"in der Erwägung, dass sich in Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit Schwierigkeiten ergeben können und dass ein gemeinsames Vorgehen zur möglichst weitgehenden Verringerung dieser Fälle im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten dem Ziel des Europarats entspricht"
Eine klare Absage an die Mehrstaatigkeit. Wir müssen aber berücksichtigen, in welcher Zeit dieses Abkommen entstanden ist. Die Erinnerung an den Weltkrieg war noch frisch, der Nationalismus noch sehr ausgeprägt, der internationale Menschenrechtsschutz und die europäische Integration noch sehr junge Phänomene. Und so spiegelt Art. 1 dieses Abkommens aus 1963 die traditionelle Philosophie vom Bürger als Untergebenen mit ausschließlicher Loyalitätsverpflichtung sehr gut wider:
"Volljährige Staatsangehörige einer Vertragspartei, die infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung durch Einbürgerung, Option oder Wiedereinbürgerung die Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, verlieren ihre vorherige Staatsangehörigkeit; die Beibehaltung der vorherigen Staatsangehörigkeit ist ihnen zu versagen."
Der freiwillige Erwerb einer weiteren Staatsangehörigkeit sollte zum Verlust der ursprünglichen Staatsbürgerschaft führen: Loyalitätskonflikte sollten von vornherein ausgeschlossen werden und der Bürger sollte wissen, dass ein Schielen über die Grenze bestraft würde.
Zu beachten ist, dass Italien diese harsche Vorgabe schon 1968, zum Zeitpunkt der Ratifikation dieses Übereinkommens, zu weit gegangen ist. Italien hat nämlich zu diesem Zeitpunkt u.a. einen Vorbehalt zu Art. 1 Abs. 1, 2 und 3 erhoben. Danach sollte der Erwerb einer weiteren Staatsangehörigkeit nur dann zum Verlust der italienischen Staatsangehörigkeit führen, wenn der Bürger bereits im Ausland lebte oder seinen ordentlichen Wohnsitz ins Ausland verlegte.
Österreich hat gegen diesen Vorbehalt keinen Einspruch erhoben....