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Full text
After having helped his friend Jim to run away from slavery, Mark Twain's character Huckleberry Finn decides to turn him in, but finds himself doing just the contrary. This example is used in the philosophical literature to illustrate the rationality of emotion: even though his sympathy for Jim causes Huck to act against his better judgement, he seems to be doing exactly the right thing. The question is what is meant by "rationality" here. Three different meanings of this notion are distinguished, in order to show that Huck's sympathy is rational in the cognitive or epistemic sense of being appropriate to some objective feature of his actual situation. It is argued that, to be capable of this kind of rationality, emotions must have an evaluative-representational content. Finally, it is shown that emotional representations are partly determined by society and culture, without this implying the arbitrariness of emotional evaluation. We may then understand Huck's sympathy as a new and better evaluative perception and as a pioneering step in a continuous socio-cultural process of refining and improving our value categories.
1. Einleitung
Nachdem Mark Twains Protagonist Huckleberry Finn seinem Freund Jim zur Flucht aus der Sklaverei verholfen hat, überkommen ihn Gewissensbisse, und er entschließt sich, Jim den Sklavenjägern auszuliefern. Doch als sich ihm die Gelegenheit dazu bietet, sieht er sich genau das Gegenteil tun: statt Jim zu verraten, lügt Huck, um seinen Freund zu beschützen. Aus Mitgefühl für seinen Freund handelt Huck seinem Urteil zuwider.1
In der philosophischen Literatur der Gegenwart wird dieses Beispiel in Anschlag gebracht, um die Rationalität des Gefühls zu veranschaulichen. Es ist gerade seine neu- bzw. wiederentdeckte Rationalität, die nach Jahtzehnten der Nichtbeachtung zu einer Renaissance des Gefühls geführt hat.2 Immerhin wird dem Leser vermittelt, dass Huck das Richtige tut und dass ihm sogar moralisches Lob gebührt, auch wenn er selbst seinem Gefühl nicht vertraut, sondern sich im Gegenteil für seine Schwäche geißelt.
Ich werde im Folgenden zunächst explizieren, was hier mit der "Rationalität" des Gefühls gemeint ist. Um des Argumentes willen werde ich dabei voraussetzen, dass Huck, indem er seinen Freund vor den Sklavenjägern beschützt hat, objektiv betrachtet richtig gehandelt hat (obwohl er etwa gelogen hat). In einem zweiten Schritt werde ich dann darlegen, dass Gefühle repräsentationale Zustände sein und eine...