Zusammenfassung
Die Wehrhaftigkeit von Gesellschaften wird durch ein Bündel von Faktoren beeinflusst. Neben sozio-demographischen und sozio-ökonomischen Faktoren sind es vor allem die politische Orientierung von Menschen, ihre Erfahrung in Streitkräften und die Salienz sicherheitspolitischer Themen, die Einfluss auf die Wehrbereitschaft haben. In letzter Zeit wurde aber auch der post-moderne und post-heroische Charakter von Gesellschaften als Ursache für einen Rückgang der Wehrhaftigkeit genannt. Auf Grundlage einer Befragung von über 3.000 Österreicherinnen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen im Zuge des „Austrian Foreign Policy Panel Projects - AFP3" kommt dieser Beitrag zum Ergebnis, dass die Ursachen für Österreichs niedrige Wehrbereitschaft, über alle Gesellschaftsgruppen hinweg, in der fehlenden politischen Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Einer solchen Debatte steht vor allem der Glaube an die Neutralität als Identitätsmerkmal und als vermeintlicher Schutz vor Kriegen gegenüber.
Schlüsselwörter
Wehrhaftigkeit, Krieg, Neutralität, Sicherheitspolitik, Umfrageforschung
Abstract
A society's willingness to fight (W2F) is influenced by a bundle of variables. In addition to socio-demographic and socio-economic factors, it is above all the political orientation of people, their experiences in the armed forces, and the salience of security policy issues that influence their willingness to fight. Recently, however, the post-modern and post-heroic character of societies has also been identified as a cause for a declining W2F. Based on a survey of more than 3,000 Austrians on foreign and security policy issues (conducted by members of the „Austrian Foreign Policy Panel Project - AFP3"), this article argues that the reason for Austria's low willingness to fight, across all societal groups, is first and foremost the absence of a political debate on foreign and security policy. Such a debate is hindered primarily by the belief in neutrality as an anchor of identity and as an alleged shelter from wars.
Keywords
willingness to fight, war, neutrality, security policy, survey research
Einleitung
Wie wehrhaft ist die österreichische Gesellschaft? Die Beantwortung dieser Frage ist essenziell für den österreichischen Staat und seine Gesellschaft. Wie jeder andere Staat innerhalb des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen hat auch Österreich gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (VN) im Fall eines Angriffs das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung. Österreich versteht Selbstverteidigung aber nicht nur als ein Recht, sondern hat sich als neutraler Staat und durch sein Neutralitätsgesetz auch die Pflicht auferlegt, das eigene Staatsgebiet im Notfall militärisch verteidigen zu können.1 Eine nicht wehrhafte Gesellschaft stellt somit ein fundamentales Problem für die nationale Sicherheit dar und macht die Existenz eines Staates in einem sicherheitspolitischen Umfeld vom Wohlwollen anderer abhängig.
Die Frage nach der Wehrhaftigkeit ist für Österreich aber auch vor dem Hintergrund von vier Entwicklungen von besonderer Bedeutung. Erstens, wie Senn (2024) in seinem Beitrag in dieser Ausgabe argumentiert, hat sich Österreichs geopolitische Lage - weg von einem neutralen Trennraum hin zu einem neutralen Binnenraum im Zentrum der Europäischen Union (EU) und umgeben von befreundeten NATO-Staaten - gewandelt. Damit relativierte sich zunächst das potenzielle Problem, vielleicht nicht ausreichend wehrhaft zu sein. Dem steht jedoch zweitens gegenüber, dass sich die Welt in einem „Moment der Ordnungsbildung" (Senn 2024) befindet. Der russländische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Sicherheitsarchitektur nachhaltig verändert. Die Frage der Wehrhaftigkeit von Staaten und Gesellschaften rückt unvermeidlich wieder in den Vordergrund.
Eng damit verbunden sind drittens die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas. Durch Artikel 42(7) des Vertrags über die Europäische Union (EU) gibt es mittlerweile eine Beistandspflicht im Falle eines militärischen Angriffs auf einen Mitgliedstaat. Auch wenn die „irische Klausel" neutralen Staaten wie Österreich die Option gewährt, diesen Beistand auf nicht-militärische Beiträge zu begrenzen, ist mit diesem Artikel eine Solidaritätserwartung innerhalb der EU geschaffen worden, derer sich Österreich wohl nur unter hohen Reputationskosten entziehen kann. Und viertens ist die Frage der Wehrhaftigkeit der Österreicherinnen vor dem Hintergrund großer Rüstungsbeschaffungen von Bedeutung. Wie lassen sich wachsende Investitionen in das Bundesheer2 argumentieren und rechtfertigen, wenn die Gesellschaft am Ende das Tages (und unter Verweis auf die Neutralität als Grundprinzip und Bezugspunkt - siehe Senn 2024) eigentlich gar nicht will, dass das Bundesheer für militärische Zwecke eingesetzt wird bzw. selbst nicht bereit ist, einen solchen Beitrag zu unterstützen?
Ziel dieses Artikels ist es daher, ausgehend von bestehender Forschung über die Hintergründe und Ursachen der Wehrhaftigkeit von Gesellschaften, und auf Grundlage empirischer Daten, Antworten auf die Frage zu liefern, wie sich die vergleichsweise geringe Wehrhaftigkeit der österreichischen Bevölkerung erklären lässt. Dazu greifen wir auf die Ergebnisse der ersten Welle des Austrian Foreign Policy Panel Projects (AFP3) zurück, im Zuge dessen 3.005 Österreicherinnen und Österreicher über ihre außen- und sicherheitspolitischen Einstellungen befragt wurden (Senn/Duell/Eder 2024). Wie wir auch aus anderen Umfragen wissen (siehe zum Beispiel Der Pragmaticus 2024), ist Österreichs Wehrhaftigkeit im europäischen Vergleich außerordentlich niedrig.3 Dieser Befund wird auch durch die Ergebnisse von AFP3 einmal mehr untermauert und konkretisiert. Wir argumentieren in diesem Artikel aber, dass die Ursachen dafür nicht so sehr im post-modernen bzw. post-heroischen Charakter der österreichischen Gesellschaft liegen, wie dies etwa auch Ralph Janik in diesem Schwerpunktheft anführt. Wir verorten die Gründe vielmehr in der fehlenden Debatte über außen- und sicherheitspolitische Bedrohungen, die Frage der Solidarität im europäischen Kontext und die militärischen Möglichkeiten Österreichs innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur. Zudem überlagert der Glaube, die Neutralität sei Teil einer unerschütterlichen österreichischen Identität und schütze davor, in Kriege verwickelt zu werden, die politische Debatte und engt den Handlungsspielraum der politischen Akteure ein.
Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt werden wir zunächst definieren, was unter „Wehrhaftigkeit" überhaupt zu verstehen ist und welche Faktoren diese beeinflussen. Darauf aufbauend zeigen wir in einem zweiten Schritt und auf Grundlage von Befragungsdaten, inwiefern diese Faktoren auf Österreich zutreffen und welche Auswirkungen sie auf die Einstellung der Österreicherinnen zur militärischen Landesverteidigung haben. In diesem Zusammenhang werden wir auch die Rolle der Neutralität thematisieren und darlegen, inwiefern die europäische Solidarität hier einfließt. Wir schließen unseren Beitrag mit einer Zusammenfassung unserer Argumentation und einem Ausblick, welche Herausforderungen die aktuell beschränkte Wehrbereitschaft der österreichischen Gesellschaft für die Politik mit sich bringt.
Was versteht man unter Wehrhaftigkeit und welche Faktoren beeinflussen sie?
Unter Wehrhaftigkeit versteht man grundsätzlich die „willingness to fight" (W2F), das heißt die Bereitschaft von Menschen, im Falle eines bewaffneten Angriffs auf den eigenen Staat, diesen auch mit militärischen Mitteln (wenn nötig auch mit der Waffe in der Hand) zu verteidigen (Bukkvoll/Steder 2023, 1). Neben diesem engen Verständnis von Wehrhaftigkeit gibt es allerdings auch noch eine breitere Definition, die auch die „willingness to resist" beinhaltet. Damit ist auch jede nichtmilitärische Form des Widerstands (zum Beispiel ziviler Ungehorsam) gemeint, um einem potenziellen Angreifer seinen militärischen Erfolg zu versagen (Bukkvoll/ Steder 2023,1; Reznik 2023,330). In diesem Beitrag werden wir eine Mittelposition einnehmen und definieren Wehrhaftigkeit im erweiterten Sinne als jede Form des Beitrags zur militärischen Landesverteidigung, die vom Einsatz von Waffengewalt bis hin zu der Versorgung von Soldaten und der Herstellung kriegswichtiger Güter reicht. Damit grenzt sie sich von der zivilen (Absicherung der Funktionalität staatlicher Einrichtungen) oder wirtschaftlichen Landesverteidigung (Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates) ab.
Wie Torgier (2003, 267) in seiner Studie über die Wehrhaftigkeit der OECD-Staaten im Zeitraum von 1980-1997 zeigt, gibt es große länderspezifische Unterschiede. Während die „willingness to fight" in den skandinavischen Staaten und den USA hoch ist, weisen zentral- und südeuropäische Staaten niedrige Werte auf. In Ländern wie Finnland, Norwegen oder Schweden liegt die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung bei über 80 % und ist im Beobachtungszeitraum sogar noch weiter gestiegen. In Staaten wie Belgien, Deutschland, Italien oder Japan liegt dieser Wert unter 50 % und sinkt kontinuierlich. Bērziņa/Zupa (2021, 247) kommen in ihrer aktuelleren Studie zu Lettland zu ähnlich niedrigen Werten. Dort liegt die Bereitschaft, das eigene Land auch militärisch zu verteidigen bei unter 40 %, wobei die Verteidigungsbereitschaft im breiten Sinne (also auch mit nicht-militärischen Mitteln) bei 55 % liegt.
Für einige Autorinnen liegt die Ursache dieser niedrigen und weiter stagnierenden Wehrhaftigkeit im post-heroischen bzw. post-modernen Wesen dieser Gesellschaften. Das steigende Konsumbedürfnis von Menschen, die zunehmende Bedeutung emanzipatorischer Werte, die fortschreitende Globalisierung und die ökonomische und soziale Modernisierung dieser Gesellschaften sind jene Faktoren, die sich in dieser Erklärung negativ auf die Wehrhaftigkeit auswirken. So zeigen zum Beispiel Adres/Vanhuysse/Vashdi (2011), dass Konsumorientierung und fortschreitende Globalisierung lokale Bindungen schwächen, und bei Menschen damit die Bereitschaft, Wehrdienst zu leisten und mit der Waffe für das eigene Land zu kämpfen, sinkt. Bērziņa/Zupa (2021) wiederum argumentieren, dass der Anstieg emanzipatorischer Werte zu einem Rückgang des Nationalstolzes und damit zu einer geringeren W2F führt. Bukkvoll/Steder (2023) sowie Gat (2005) verorten den Rückgang der Wehrhaftigkeit vor allem in der ökonomischen und sozialen Modernisierung von Staaten. Diese Modernisierung erhöht nämlich die individuellen Opportunitätskosten und führt dadurch zur Reduktion der W2F. Mit Opportunitätskosten ist gemeint, dass die steigenden Lebenschancen (das heißt die Chancen auf ein gutes und längeres Leben) von Menschen zu mehr existentieller Sicherheit führen, wodurch sich auch die Kosten erhöhen, wehrhaft zu sein. Je größer also die wirtschaftliche und demokratische Entwicklung eines Staates, desto geringer wird die Wehrhaftigkeit seiner Gesellschaft (Inglehart/Puranen/Welzel 2015; Kim 2020). Reznik (2023) sieht in diesem Zusammenhang sogar einen Verstärkungseffekt: Je größer die existentielle Sicherheit von Staaten, desto eher können sich deren Gesellschaften emanzipatorische Werte leisten und desto geringer wird ihre Wehrhaftigkeit mit fortlaufender Zeit.
Ähnlich sehen das auch Autorinnen, die für den Rückgang der Wehrhaftigkeit eine Verschiebung des Stellenwerts von Individuen auf Kosten von Gesellschaften beobachten (Páez u. a. 2016; Tresch 2010). Prämoderne Gesellschaften, so die Argumentation, weisen meist einen niedrigeren gesellschaftlichen Entwicklungsstand auf und sind daher stark materialistisch orientiert. Individuen spielen in diesen Gesellschaften eine untergeordnete Rolle. Stattdessen stehen das Kollektiv und sein Wohlergehen im Vordergrund. Daher ist auch die Bereitschaft hoch, für das eigene Land zu kämpfen. Je mehr die Rolle von Individuen aber gestärkt wird und je mehr die Kosten-Nutzen-Kalkulation von Einzelnen in den Vordergrund rückt, desto kleiner wird der Beitrag, den diese Individuen bereit sind für die Gesellschaft zu leisten.
Wie die empirischen Befunde zuvor jedoch gezeigt haben, mag dieses Argument zwar für ausgesuchte Staaten Zentral- und Südeuropas gelten. Die skandinavischen Staaten, die aus demokratiepolitischer, sozialer und wirtschaftlicher Perspektive zu den Top-Nationen weltweit zählen, scheinen davon aber unberührt zu sein. Welche Faktoren sind es also, neben der Modernisierung von Gesellschaften, die sich positiv oder negativ auf die Wehrhaftigkeit von Staaten auswirken? In der Literatur finden sich fünf unterschiedliche Bündel von Faktoren, die eine Auswirkung auf die W2F haben: (1) soziodemographische Faktoren, (2) sozio-ökonomische Faktoren, (3) die politische Orientierung von Menschen, (4) Wehrdiensterfahrung und kollektives Handeln und (5) die Salienz von Bedrohungswahrnehmungen und die öffentliche Debatte darüber.
Das erste Bündel an Faktoren, das die Wehrhaftigkeit von Menschen beeinflusst, sind sozio-demographische Faktoren wie Geschlecht, Alter und formaler Bildungsgrad. Frauen weisen im Durchschnitt eine statistisch signifikant geringere Wehrbereitschaft auf als Männer (Reznik 2023, 330-331; Vuga 2013). Grund dafür sind neben der politischen Orientierung (auf die wir in weiterer Folge noch genauer eingehen werden) vor allem die geringe Identifikation mit Armeen, was vor dem Hintergrund der fehlenden Wehrpflicht von Frauen in fast allen Staaten nachvollziehbar ist (Torgier 2003, 266-267). Neben dem Geschlecht trägt auch ein ansteigendes Lebensalter zur Verringerung der W2F bei. Je älter Menschen werden, desto größer werden auch ihre individuellen Opportunitätskosten und damit sinkt ihre Bereitschaft, ihr Leben für andere aufs Spiel zu setzen (Vuga 2013; Torgier 2003, 266). Wie Reznik (2023, 331) zeigt, kann sich dieser Effekt aber auch umkehren. Je älter Menschen werden, desto wahrscheinlicher haben sie Kinder und desto eher sind sie wiederum bereit, zum Schutz ihrer Nachkommen zur Waffe zu greifen und ihr Land zu verteidigen.
Ein ähnliches Phänomen ist auch bei der Variable Bildung zu beobachten. Ein höherer Bildungsgrad führt zu mehr Lebenschancen und bringt damit auch mehr Opportunitätskosten mit sich. Formal gebildetere Menschen weisen daher im Durchschnitt eine geringere W2F auf (Torgier 2003, 267). Während diese Erkenntnis zwar auf Europa zutrifft, zeigt sich am Beispiel der USA ein gegensätzliches Bild. Weil formal höher gebildete Menschen mehr Verständnis für Außen- und Sicherheitspolitik aufweisen, ist ihre Wehrhaftigkeit höher als jene von Menschen mit formal geringerer Bildung (Reznik 2023, 331).
Ein gemischtes Bild zeigen auch die sozio-ökonomischen Faktoren, die zur Wehrhaftigkeit beitragen. So gibt es einerseits Studien, die argumentieren, dass Menschen mit unsicherem ökonomischen Status ihren Fokus eher auf die Sicherung ihrer persönlichen Bedürfnisse legen und daher weniger bereit sind, sich für die Gesellschaft einzusetzen, womit sich schlussendlich auch ihre Wehrhaftigkeit verringert (Ben-Dor/Pedahzur/Hasisi 2002). Andere Studien zeigen wiederum, dass es vor allem reichere Menschen mit mehr Lebenschancen sind, die eine geringere W2F haben (Bukkvoll/Steder 2023). Jedenfalls gehört die Variable Verteilungsgerechtigkeit zu jenen Faktoren, die sich auf die Wehrhaftigkeit auswirkt. Staaten mit einem hohen Maß an Verteilungsgerechtigkeit haben meist eine höhere Wehrhaftigkeit als Staaten mit ungleicher Einkommensverteilung (Reznik 2023, 331). Aber während Wu (2023) in seiner Studie zeigen kann, dass sich bei ungleicher Einkommensverteilung der Nationalstolz der sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen reduziert und sie daher weniger gewillt sind ihr Land mit der Waffe zu verteidigen, kommen Anderson/ Getmansky/Hirsch-Hoefler (2020) zu anderen Ergebnissen. Sie argumentieren, dass die ärmeren Schichten in sozial ungleichen Staaten oft stärker nationalistisch geprägt und daher wehrhafter sind als ihre sozial besser gestellten Landsleute. Ungleiche Einkommensverteilung resultiert aber auch in der Wahrnehmung, sozial ausgegrenzt zu sein. Oder anders ausgedrückt, je eher sich Menschen als Teil einer Gesellschaft begreifen, desto eher sind sie bereit für diese Gesellschaft Opfer zu bringen und im Verteidigungsfall zu den Waffen zu greifen (Ben-Dor/Pedahzur/Hasisi 2002).
Drittens beeinflusst die politische Orientierung die Wehrhaftigkeit. Menschen, die sich eher am rechten Rand des politischen Spektrums verorten, weisen eine höhere Bereitschaft zur Wehrhaftigkeit auf als Menschen links der politischen Mitte (Torgier 2003). Das hat unter anderem damit zu tun, dass gerade Menschen rechts der Mitte einen größeren Nationalstolz und mehr Bewunderung für ihre Armee haben (Bērziņa/Zupa 2021; Bukkvoll/Steder 2023; Reznik 2023). Was diesen Faktor zudem noch verstärkt, ist der Umstand, dass diese Personengruppen im Durchschnitt mehr Vertrauen in den Staat und seine (Sicherheits-)Institutionen haben, was wiederum in einer größeren Wehrbereitschaft resultiert (Torgier 2003, 263-265).
Viertens beeinflusst die Erfahrung im eigenen Wehrdienst und die Annahme über kollektives Handeln im Verteidigungsfall die W2F. Wie zum Beispiel Parmak/Tyfa (2022) in ihrer Studie zeigen, sind Menschen, die positive Erfahrungen und Erinnerungen mit ihrem Wehrdienst verbinden, deutlich eher bereit ihr Land auch mit Waffengewalt zu verteidigen, als das Menschen sind, die schlechte oder gar keine Erfahrungen gemacht haben. Dass Wehrhaftigkeit aber auch etwas mit einem Gefühl bzw. dem Wissen, Teil kollektiven Handelns zu sein, zu tun hat, zeigen Wang/Eldemerdash (2023) in ihrer Analyse. Menschen sind nämlich dann wehrhaft, wenn sie nicht das Gefühl haben, die einzigen zu sein, die ihr Land verteidigen. Wenn sie überzeugt davon sind, im Verteidigungsfall auch auf andere zählen zu können und Teil einer Gemeinschaft zu sein, steigert das ihre Wehrhaftigkeit. Gerade dieser Faktor zeigt, wie wichtig die öffentliche Debatte zum Thema Wehrhaftigkeit ist. Ohne eine solche Auseinandersetzung können sich Menschen kein fundiertes Urteil über die Notwendigkeit der W2F und die Bereitschaft ihrer Mitmenschen, ihr Land gemeinsam zu verteidigen, machen.
Das bringt uns zum fünften und letzten Faktor, nämlich der Bedrohungswahrnehmung und der öffentlichen Debatte darüber. Je höher die externe territoriale Bedrohung für einen Staat ist, bzw. je größer die individuelle und kollektive Bedrohungswahrnehmung einer Bevölkerung im Hinblick auf eine solche Gefahr, desto höher ist auch der Wehrwille der Bevölkerung (Kim 2020; Reznik 2023; Tresch 2010, 253). Wie Häkkinen/Kaarkoski (2024) aber zeigen, ist es vor allem die öffentliche Debatte über eine solche Bedrohung, die Staaten wie Finnland und Schweden hilft, trotzt ihrer post-modernen Gesellschaften eine überdurchschnittlich hohe W2F aufzuweisen und damit ihr Abschreckungspotential etwaigen Aggressoren gegenüber zu erhöhen. Fehlt eine solche öffentliche Debatte, oder wird sie von historischen Kriegserfahrungen und einer daraus resultierenden nationalen Kultur (wie zum Beispiel Neutralität oder Risiko-Aversion) überlagert, dann ist mit einer deutlichen Reduktion der Wehrbereitschaft von Bevölkerungen zu rechnen (Vuga 2013). Daneben wirken sich auch noch Sicherheitsgarantien von Großmächten negativ auf die W2F aus. Ein solcher externer Schutz reduziert die Anreize für Staaten und ihre Gesellschaften, sich selbst verteidigen zu müssen und erhöht die Wahrscheinlichkeit des Trittbrettfahrens (Jakobsen 2019).
Wie diese kurze Übersicht der Forschung zu W2F gezeigt hat, gibt es zahlreiche Faktoren, die für sich alleine und in ihrem komplexen Zusammenspiel die Wehrhaftigkeit von Menschen und Gesellschaften beeinflussen. Im Kern geht es letztendlich aber immer darum, dass Menschen dann wehrhaft sind, wenn sie aufgrund externer Bedrohungen und als Ergebnis öffentlicher Debatten das Gefühl haben, dass es sich lohnt für ihre Gesellschaft (von der sie geschätzt und wahrgenommen werden) einzutreten. Diese Faktoren relativieren den Einfluss erhöhter Lebenschancen und damit verbundener Opportunitätskosten, die für sich genommen eher zur Reduktion der W2F führen.
Die untergeordnete Rolle außen- und sicherheitspolitischer Bedrohungen und die „Schutzfunktion" der Neutralität
Vor dem Hintergrund der soeben beschriebenen Faktoren stellt sich nun die Frage, wie es um die Wehrhaftigkeit der österreichischen Bevölkerung bestellt ist. Um diese Frage zu beantworten, greifen wir auf die Ergebnisse der ersten Welle des „Austrian Foreign Policy Panel Project - AFP3" zurück (siehe Senn/Duell/Eder 2024). Im Zuge dieses Umfrageprojekts wurden im Juni und Juli 2023 über 3.000 Österreicherdnnen ab 18 Jahren repräsentativ ausgewählt und zu ihren außen- und sicherheitspolitischen Einstellungen befragt.4
In diesem Abschnitt werden wir die Ergebnisse dieser Umfrage im Kontext des zuvor dargelegten Wissens über den Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf die Wehrbereitschaft von Staaten präsentieren. Im ersten Schritt zeigen wir, wie sich die W2F der österreichischen Bevölkerung im europäischen Vergleich darstellt. Anschließend werden wir zweitens die Wehrbereitschaft vor dem Hintergrund sozio-demographischer und sozio-ökonomischer Faktoren diskutieren. Drittens gehen wir auf den Einfluss politischer Orientierungen und des Vertrauens in staatliche Institutionen ein und zeigen viertens, inwiefern der Umstand, dass Menschen Militärdienst geleistet haben, Auswirkung auf deren Wehrbereitschaft hat. Wir beenden den Abschnitt fünftens, indem wir detaillierter auf die Bedrohungswahrnehmung, also die Salienz von außenund sicherheitspolitischen Themen und den Einfluss der Neutralität auf die Wehrbereitschaft eingehen.
Im europäischen Vergleich zeigt sich für Österreich zur Frage der Wehrhaftigkeit ein ernüchterndes Bild. Auf die Frage „Angenommen, Österreich wird angegriffen. Denken Sie, dass wir bewaffneten Widerstand leisten sollten, auch wenn der Ausgang ungewiss erscheint?", antworteten nur 47,65 % der Befragten mit „Ja, auf jeden Fall" bzw. „Ja, wahrscheinlich schon". Das heißt, nur knapp die Hälfte der Österreicherinnen ist bei einem bewaffneten Angriff auf das Land wirklich der Meinung, dass man sich verteidigen sollte. Noch ernüchternder wird das Bild, wenn nach der individuellen Bereitschaft gefragt wird, sich an der militärischen Landesverteidigung aktiv zu beteiligen. Nur 14,21 % der Befragten gaben an, ihr Land mit der Waffe verteidigen zu wollen und 15,67 % waren zumindest bereit, einen anderen militärischen Beitrag (zum Beispiel Versorgung von Soldaten oder Herstellung kriegswichtiger Güter) zu leisten.
In Summe gaben also nur 29,88 % an, wehrhaft im erweiterten Sinne zu sein. Ein solcher Wert sucht im Vergleich zu anderen europäischen Staaten seines gleichen (siehe Abbildung i). Nur Österreichs Nachbarstaaten Tschechien und Slowakei sowie Spanien weisen laut den aktuellsten Daten des „World Values Survey" (Haerpfer u. a. 2022) ähnlich niedrige Werte auf - wenngleich hier angeführt werden muss, dass diese Daten vor dem russländischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Zahlen zu Österreich aber über ein Jahr nach der russländischen Invasion erhoben wurden. Italien kam laut dem „World Values Survey" auf eine Wehrbereitschaft von 45 %, Deutschland auf 53 %, die Schweiz auf 63 % und Slowenien sogar auf 81 %. Spitzenreiter sind die skandinavischen Staaten Finnland (80 %), Norwegen (89 %) und Schweden (84 %).
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, inwiefern die österreichische Bevölkerung sich im Falle eines bewaffneten Angriffs auf sein Staatsgebiet militärische Hilfe von den EU-Partnern erwartet und inwiefern Österreich im Gegenzug bereit wäre, einem EU-Mitgliedstaat im Kriegsfall militärisch zur Hilfe zu kommen. 72,28 % der Befragten erwarteten sich „definitiv" bzw. „eher schon" Hilfe von anderen EU-Staaten bei einem Angriff auf Österreich. Aber nur 13,58 % stimmten „sehr zu" oder „eher zu", einem EU-Mitglied militärisch zu Hilfe zu kommen. Auch wenn die EU-Verträge und die österreichische Bundesverfassung eine solche militärische Hilfe durchaus ermöglichen würden, lehnt ein Großteil der Befragten dies ab.
Damit offenbart sich ein ernstzunehmendes Solidaritätsproblem. Einerseits mit großer Sicherheit von den EU-Verbündeten Hilfe nach einem bewaffneten Angriff zu erwarten, gleichzeitig aber nicht bereit zu sein, selbst militärisch zu helfen, verfestigt Österreichs Bild als sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer. Dass diese Haltung mit einer europaweit fast einzigartig niedrigen Wehrbereitschaft gepaart ist, macht die Sache nicht besser.
Es stellt sich daher die Frage, welche Faktoren diesen Befund einer äußerst geringen Wehrbereitschaft und Solidarität erklären und welche politischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Wirft man zunächst einen Blick auf die sozio-demographischen Faktoren, so zeigt sich, dass die niedrige Wehrbereitschaft unter anderem eine Geschlechterfrage ist (siehe Abbildung 2). Würden nur Männer befragt, wären fast 50 % der Österreicher wehrhaft im erweiterten Sinne. Frauen sind statistisch signifikant weniger bereit zur Waffe zu greifen oder einen anderen militärischen Beitrag zur Landesverteidigung zu leisten.
Auch das Alter (siehe Abbildung 3) hat Einfluss auf die W2F. Während die Wehrbereitschaft der Altersgruppe 50-59 am höchsten ist, und auch bei allen jüngeren Jahrgängen ähnlich hoch ist (bescheidene Mitte 30 %), fällt sie bei der Generation 60+ auf nur mehr rund 25 % ab.
Daneben spielt auch der Faktor Bildung (siehe Abbildung 4) eine Rolle. Menschen mit der formal niedrigsten Bildung („Volksschule oder weniger" als höchsten Bildungsabschluss) scheinen größere, existentielle Sorgen zu haben und daher auch weniger bereit zu sein, ihr Leben im Falle eines bewaffneten Angriffs aufs Spiel zu setzen. Es ist auch diese Gruppe, die den größten Anteil an „Weiß nicht" zur Frage der Wehrhaftigkeit äußert. Alle anderen Bildungsgruppen haben vergleichbare (und generell auch niedrige) Werte, wobei die Gruppe jener Menschen mit einem Studienabschluss sich am besten über diese Frage informiert weiß (ähnlich wie in den USA). Die Wehrhaftigkeit der österreichischen Be- völkerung ist über alle Bildungsschichten hinweg aber vergleichbar niedrig.
Keine Rolle spielt die Herkunft der Befragten. Burgenländerdnnen sind ähnlich wehrhaft wie Vorarlbergerinnen. Tirolerdnnen sind nicht wehrhafter als Niederösterreicherdnnen. Einen Einfluss auf die W2F hat allerdings das Einkommen (siehe Abbildung 5). Je mehr Österreicherdnnen im Durchschnitt verdienen, desto eher sind sie bereit zur militärischen Landesverteidigung einen Beitrag zu leisten. Obwohl auch hier sich die Werte alle auf einem niedrigen Niveau bewegen, scheint materielle Sicherheit (trotz der damit verbundenen höheren Opportunitätskosten) mit einer erhöhten Wehrbereitschaft zu korrelieren.
Eine eindeutige und statistisch signifikante Auswirkung hat die politische Orientierung von Österreicherdnnen auf die W2F (siehe Abbildung 6). Je weiter rechts sich die Befragten im politischen Spektrum verorteten, desto höher war ihre Bereitschaft zur militärischen Landesverteidigung. Österreicherdnnen rechts der Mitte weisen eine um knapp 25 %-Punkte höhere Wehrbereitschaft auf, als jene links der Mitte.
Wie im vorigen Abschnitt dargelegt, gibt es hier auch einen engen Zusammenhang mit dem Vertrauen dieser Menschen in staatliche Institutionen. Wie Abbildung 7 zeigt, steigt die Wehrbereitschaft signifikant mit dem Vertrauen der betreffenden Personen in die Regierung.
Ein ähnliches Ergebnis erhält man auch, wenn man statt nach dem Vertrauen in die Regierung, nach jenem in das österreichische Bundesheer fragt. In diesem Zusammenhang ist auch der Umstand von Bedeutung, ob Menschen Präsenzdienst (also Militärdienst) geleistet haben, oder ob sie stattdessen Zivildiener waren (siehe Abbildung 8). Jene Österreicher, die Präsenzdienst und nicht Zivildienst geleistet haben, weisen mit knapp 50 % eine doppelt so hohe Wehrbereitschaft auf wie ehemalige Zivildiener. Diese Beobachtung bestätigt somit die im vorigen Abschnitt dargelegte Beziehung zwischen (positiven) Erfahrungen im Wehrdienst und der W2F der betreffenden Personen.
Die bisher genannten Faktoren erklären aber nicht, warum Österreich eine im internationalen und europäischen Vergleich sehr geringe W2F aufweist. Vielmehr bestätigt der Fall Österreich viele der Erwartungen, die sich aus der bestehenden Forschung ergeben. Würde man also nur diese Faktoren betrachten, dürfte Österreich kein Ausreißer sein. Es müssen also (noch) andere Faktoren wirken. Ein Blick auf den Faktor Salienz politischer Themen und die Bedrohungswahrnehmung gibt hier vielleicht mehr Aufschluss über die Ursachen dieser Besonderheit. Wie Abbildung 9 zeigt, nehmen außenund sicherheitspolitische Themen (die blau eingefärbten Balken) für die befragten Österreicherinnen eine nur sehr untergeordnete Rolle ein. Themen wie „steigende Preise" oder generell die „wirtschaftliche Lage" scheinen sie weitaus mehr zu beschäftigen als ein „Krieg im Umfeld", „Konflikte zwischen Großmächten", „Terrorismus" oder ein möglicher „Rüstungswettlauf".
Es verwundert daher nicht, dass Personen, die sich unsicher fühlen,5 eine geringere W2F haben (siehe Abbildung 10). Nur jene Befragten, die angaben, sich aktuell „sehr sicher" zu fühlen, hatten auch eine überdurch schnittliche Wehrbereitschaft. Das bestätigt damit auch den im vorigen Abschnitt dargelegten positiven Zusammenhang zwischen existentieller Sicherheit, subjektivem Bedrohungsgefühl und der W2F. Nur wenn Menschen sich existentiell sicher fühlen, können sie sich den „Luxus" der Wehrbereitschaft leisten. Und nur wenn sie von einer Bedrohung von außen wirklich überzeugt sind, sind sie wiederum bereit, ihr Land auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Beides scheint im Falle Österreichs jedoch nicht zuzutreffen. Die Sorge um das eigene wirtschaftliche Wohlergehen überlagert mögliche außen- und sicherheitspolitische Bedrohungswahrnehmungen, die selbst wiederum nur eine untergeordnete Rolle spielen.
In diesem Kontext ist auch die tiefgreifende Überzeugung der Befragten zu verstehen, dass die Neutralität ein Kernelement ihrer Identität ausmacht, und diese Neutralität Österreich effektiv vor Kriegen schützt. Wie Abbildung 11 deutlich macht, haben jene Österreicherinnen, die die Neutralität als fest verankertes Element ihrer Identität begreifen („Stimme voll und ganz zu" und „Stimme zu") eine statistisch signifikant niedrigere W2F, als jene Menschen, für die die Neutralität keinen Identitätsanker bildet.
Damit zeigt sich ein doppeltes Problem der außenund sicherheitspolitischen Debatte in Österreich. Einerseits versäumt es die Politik (Regierung und politische Parteien gleichermaßen) einen offenen und ehrlichen Dialog über außen- und sicherheitspolitische Bedrohungen, europäische Solidarität im militärischen Kontext und die Rolle und Möglichkeiten Österreichs innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur zu führen. Zugleich führt das Tabu, nicht über den Sinn und Mehrwert der Neutralität unter den veränderten Rahmenbedingungen politisch diskutieren zu können, zu einem Verständnis dieser Neutralität durch die Bevölkerung, als ob sie ein Garant für das Ausbleiben von Kriegen sei.
Beide Themen für sich und zusammengenommen tragen maßgeblich dazu bei, dass die W2F der Österreicherinnen im Vergleich zu allen anderen europäischen Staaten auf einem Allzeit-Tiefpunkt liegt. Es ist also nicht so sehr die post-moderne oder gar postheroische österreichische Gesellschaft, sondern die hier diskutierten Faktoren, die Österreichs Wehrhaftigkeit auf einem sicherheitspolitisch bedenklichen Niveau hält und damit zwangsläufig Österreich zum sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer und Nettoempfänger europäischer Sicherheit macht.
Für die Politik ergeben sich daraus zwei Handlungsoptionen. Einerseits könnte sie versuchen, die Wehrhaftigkeit zu erhöhen, indem sie außen- und sicherheitspolitische Themen und Herausforderungen breiter in die Öffentlichkeit bringt und sie dort kontrovers diskutiert. Die Bevölkerung muss verstehen, vor welchen Herausforderungen Österreich als Teil der Europäischen Union steht und wie man diesen Herausforderungen gemeinsam begegnen kann. Unweigerlich damit zusammenhängend bedarf es einer ergebnisoffenen Diskussion über die Neutralität: Inwiefern ist diese immer noch zeitgemäß und dient wirklich der Sicherheit Österreichs und seiner Bevölkerung? Wie kann es eine Neutralität innerhalb der Europäischen Union überhaupt noch geben?
Nachdem eine solche Diskussion unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen und besonders vor dem Hintergrund der bevorstehenden Nationalratswahlen nicht zu erwarten ist, bleibt als Alternative dazu andererseits nur noch, die niedrige Wehrbereitschaft als eine Tatsache zu akzeptieren. Dann muss sich die österreichische Politik allerdings die Frage stellen, welchen solidarischen Beitrag man trotzdem zur europäischen Sicherheitsarchitektur beisteuern möchte. Österreich könnte die EU-Partner zum Beispiel im nicht-militärischen Bereich entlasten oder sie durch ein erhöhtes Engagement im Bereich der Konfliktbearbeitung freispielen. Vor diesem Hintergrund müssten dann aber auch die aktuellen und geplanten Rüstungsvorhaben des österreichischen Bundesheeres gesehen und dementsprechend auf diese Erfordernisse angepasst werden.
Was es in beiden Fällen braucht, ist jedenfalls eine umfassende politische Debatte und mutige Entscheidungen. Diese Debatte nicht zu führen, resultiert letztlich nur darin, das Schlechteste aus beiden Alternativen zu bekommen: Eine nicht-wehrhafte Bevölkerung, fehlende europäische Solidarität und ein Bundesheer, das über Fähigkeiten verfügt, die die Bevölkerung im Notfall nicht wirklich eingesetzt sehen will.
Zusammenfassung und Ausblick
Ziel dieses Beitrages war es, Antworten auf die Frage zu finden, wie wehrhaft die österreichische Gesellschaft ist und welche Faktoren die vergleichsweise geringe Wehrhaftigkeit erklären. Wie wir mit Hilfe der ersten Ergebnisse des „Austrian Foreign Policy Panel Project - AFP3" zeigen konnten, ist Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten eines der Schlusslichter, wenn es um seine „willingness to fight" geht. Der überwiegende Großteil der Österreicherinnen ist auch nicht bereit, anderen EU-Mitgliedstaaten im Falle eines bewaffneten Angriffs zur Hilfe zu kommen, erwartet sich umgekehrt aber europäische Hilfe im Falle eines Angriffs auf das österreichische Staatsgebiet.
Die Ursachen für diese niedrige Wehrbereitschaft liegen jedoch nicht im post-modernen oder post-heroischen Charakter der österreichischen Gesellschaft. Die Auswirkungen der sozio-demographischen und sozioökonomischen Faktoren entsprechen auch im Falle Österreichs großteils den Erwartungen, die wir aus der Theorie sowie aus anderen Ländern kennen. Ähnliches gilt für die politische Orientierung und das Vertrauen in staatliche Institutionen.
Was Österreich jedoch von den skandinavischen Staaten und ihrer hohen Wehrbereitschaft unterscheidet, ist die untergeordnete Rolle, die außen- und sicherheitspolitische Themen für die Bevölkerung spielen. Auch nach über einem Jahr des russländischen Angriffskriegs auf die Ukraine (Datum der Erhebung Juni/Juli 2023) scheinen solche Themen im Vergleich zur wirtschaftlichen Sicherheit nachrangig zu sein. Zudem überlagert der Glaube, die Neutralität sei ein fest verankertes Identitätsmerkmal und schütze vor Kriegen, die politische Debatte bzw. verunmöglicht sie. All diese Faktoren führen zu einer äußerst niedrigen Wehrbereitschaft, die nicht nur aus sicherheitspolitischen Überlegungen problematisch ist, sondern auch im Kontext der fehlenden Solidarität Österreichs gegenüber den europäischen Verbündeten viele Fragen aufwirft.
Es wäre höchst an der Zeit, dass sich die Politik dieser Herausforderungen aktiv annimmt. Es braucht aus Perspektive der Wehrhaftigkeit eine ergebnisoffene politische Debatte über den Mehrwert und die Zukunft der Neutralität und Österreichs Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Die Politik muss dieser Aufgabe nachkommen und der Bevölkerung damit Handlungsoptionen präsentieren, aufgrund derer sie informierte Entscheidungen treffen kann. Ein Ausbleiben einer solchen Debatte ist sicherheitspolitisch bedenklich und ein staatspolitisches Versagen.
The authors have declared that no competing interests exist.
Autoren
Dr. Franz Eder ist assoziierter Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Rolle von Akteuren in den internationalen Beziehungen, der Außen- und Sicherheitspolitik der USA, Europas und Österreichs und den Methoden der empirischen Sozialforschung.
Gregor Salinger studiert Politikwissenschaften und Internationale Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck. Er ist Mitarbeiter des Foreign Policy Labs der Universität Innsbruck und mitverantwortlich für das Dashboard des Austrian Foreign Policy Panel Projects (AFP3).
1 Das Neutralitätsgesetz selbst hält fest, dass Österreich seine Neutralität „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen [wird]" (Art. I Abs. 1). Die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes konkretisieren diese Formulierung in Richtung einer militärischen Verteidigung. Diese ist schließlich in Art. 9a des Bundes-Verfassungsgesetzes festgehalten: „Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität."
2 Mit dem „Aufbauplan Österreichisches Bundesheer 2032+" wurde das Ziel gesetzt, das Bundesheer so auszubauen und aufzurüsten, dass sich „Österreich gegen jeden militärischen Angriff [...] verteidigen und sein Volk [...] schützen" kann. Neben der Erhöhung des Verteidigungsbudgets wurden dafür zusätzlich mehr als 16 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
3 Inwiefern Umfragen das ideale Instrument sind, um die Wehrhaftigkeit von Bevölkerungen messen zu können, ist umstritten. Bukkvoll/Steder (2023) schreiben dazu: „One could imagine that it is easier to report willingness to fight when the likelihood of an actual war taking place is small. Once the reality presents itself, however, some of those who reported a willingness to fight may be scared away. Alternatively, those who did not report any willingness before the outbreak of war may find that things look very different once they see the human and material costs of combat up close." Umfragen sind jedenfalls das einzige Instrument, um überhaupt Bevölkerungsmeinungen zu einem gewissen Zeitpunkt und unter gewissen Rahmenbedingungen sozialwissenschaftlich sauber erheben zu können. Welche Konsequenzen sich aus einer Änderung der Rahmenbedingungen ergeben (Friedens- vs. Kriegszeit), werden wir im anschließenden Abschnitt diskutieren.
4 Siehe dazu auch www.afp3.at, um mehr über die Methodik der Datenerhebung und den Datensatz zu erfahren.
5 Damit ist vor allem die ökonomische Unsicherheit der Menschen gemeint, wie wir aus der Panel Studie und der Reihung der tigsten durch die Befragten wissen.
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Abstract
Die Wehrhaftigkeit von Gesellschaften wird durch ein Bündel von Faktoren beeinflusst. Neben sozio-demographischen und sozio-ökonomischen Faktoren sind es vor allem die politische Orientierung von Menschen, ihre Erfahrung in Streitkräften und die Salienz sicherheitspolitischer Themen, die Einfluss auf die Wehrbereitschaft haben. In letzter Zeit wurde aber auch der post-moderne und post-heroische Charakter von Gesellschaften als Ursache für einen Rückgang der Wehrhaftigkeit genannt. Auf Grundlage einer Befragung von über 3.000 Österreicherinnen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen im Zuge des „Austrian Foreign Policy Panel Projects - AFP3" kommt dieser Beitrag zum Ergebnis, dass die Ursachen für Österreichs niedrige Wehrbereitschaft, über alle Gesellschaftsgruppen hinweg, in der fehlenden politischen Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Einer solchen Debatte steht vor allem der Glaube an die Neutralität als Identitätsmerkmal und als vermeintlicher Schutz vor Kriegen gegenüber.