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* Imanuel Schipper. Ästhetik versus Authentizität. Reflexionen über die Darstellung von und mit Behinderung. Berlin: Theater der Zeit, 2012, 174 Seiten.
Die Darstellung von und mit Behinderung hat nicht erst seit jenem Moment Konjunktur, da die mit einem Down-Syndrom geborene Schauspielerin Julia Häusermann auf dem 50. Berliner Theatertreffen den renommierten Alfred-KerrPreis für ihre schauspielerische Leistung in Disabled Theatre in Empfang nehmen konnte. Hier rückt nur ins mediale Rampenlicht, dass sich bereits seit einigen Dekaden Gruppen wie das Theater Hora, das Berliner Theater Ramba Zamba oder das Theater Thikwa mit hoher Professionalität der Theaterarbeit widmen. Einen Einblick zur Rezeption und Diskussion dieser Theaterformen bietet der hier besprochene Band.
Unter dem programmatischen Titel "Ästhetik versus Authentizität" stellt der Sammelband die Darstellung von und mit Behinderung in einen gleichermaßen ästhetischen und politischen Zusammenhang, zugespitzt auf die Frage, welche Körper auf der Bühne repräsentiert werden können und sollen. Insbesondere das Stichwort 'Authentizität' füngiert dabei in doppelter Weise polarisierend: einerseits als Abgrenzung von Theater zu massenmedialen Repräsentationen, die häufig als weniger authentisch angesehen werden, andererseits als programmatische Formel für die Suche nach neuen Theaterformen. Wir haben es also im Lichte dieser Fragestellung keineswegs mit einer Form angewandten Theaters oder gar mit Sozialarbeit oder Therapie mit theatralen Mitteln zu tun, welche scheinbar jenseits ästhetischer Kalküle zu verorten wären - vielmehr wird mit der Anbindung der Ästhetik an den gesteigerten Effekt von Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit, genannt Authentizität, die Unterscheidung von Ästhetik und Sozialem, von Kunst und Leben tendenziell unterlaufen, indem sie noch einmal bedacht und begründet werden soll. Alle Beitragenden haben denn auch teilweise explizit Ästhetik und Authentizität gar nicht mehr als Gegensatz oder Wähloption aufgefasst, sondern sind ganz eigenen Denklinien gefolgt. Einige Positionen seien hier aufgeführt.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Tobin Siebers liefert einen sehr gut lesbaren Essay, der vor dem Hintergrund seiner langjährigen Forschungen in den so genannten Disability Studies vor allem die Repräsentation und Identitätspolitik im Theater von und mit Behinderten aufnimmt. Dabei stellt er mit Blick auf körperliche Behinderung die Prämisse auf, dass physische Beeinträchtigungen im Rahmen einer 'Ideologie der Fähigkeiten' (ab)gewertet werden. Dies geschieht in zwei Schritten: Erstens wird der sichtbare Kontrast und damit...