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herausgegeben von Albrecht Geck
Teil 2
Einleitung des Herausgebers
4 Historisch-theologische Einleitung zu Brief 12 (24. Mai 1830)
4.1 Ruckblick auf Teil 1 der Edition
Der erste Teil der Edition96 umfasst die Briefe 1 (vom 3. 9. 1825) bis 11 (vom 7. 12. 1829) der Korrespondenz:
Tholucks Aufenthalt in England im Jahre 1825 und Puseys Studium in Deutschland in den Jahren 1825-27 bilden den unmittelbaren biographischen Zusammenhang: Tholuck reist nach England, um in London und Oxford orientalische Handschriften einzusehen. Pusey erlernt in Berlin, Bonn, Göttingen und Greifswald die sprachlichen Grundlagen der historischen und philologischen Bibelkritik.
Die Krise der Autorität der biblischen Überlieferung angesichts des individuellen Anspruchs auf Vernunftgebrauch und Urteilsfähigkeit in der Neuzeit bilden den problemgeschichtlichen Hintergrund: Im Zeichen wissenschaftlicher Kritik treten objektive Glaubenswahrheit und subjektive Glaubensgewissheit auseinander.
Tholucks ,,Lehre von der Sünde und vom Versöhner" (1823) und Puseys ,,Enquiry into German Theology" (1828) bilden schliefilich den werkgeschichtlichen Zusammenhang: Die Autoritätskrise des Glaubens soil im Durchgang durch eine philologisch und historisch exakt arbeitende ,,gläubige Wissenschaft" (Tholuck) oder ,,animated science" (Pusey) überwunden werden.
Der hier vorliegende zweite Teil der Edition umfasst Brief 12 (vom 24. 5. 1830). Er enthält als Anlage 12a Puseys Bericht ,,Ueber den Zustand der neuern englischen Theologie", den Tholuck in deutscher Ubersetzung in seinem ,,Litterarischen Anzeiger" abdruckt.97
Theologiegeschichtlich und biographisch handelt es sich um ein Dokument des Ubergangs:
Der Bericht gibt Einblick in die bedeutende, in ihrer Eigenständigkeit aber nach wie vor vernachlässigte (Übergangs-) Epoche der englischen Theologiegeschichte in den Jahren zwischen 1789 und 1833, also dem Ausbruch der Franzosischen Revolution und dem Beginn der Oxford-Bewegung.98
Er dokumentiert zugleich, wie sich Pusey unter dem Eindruck einer hochst kritischen Rezeption des ,,Enquiry into Theology" in England und des Fortgangs der Kontroverse mit Rose kirchenpolitisch, wissenschaftspolitisch und theologisch neu zu orientieren beginnt.
Beide Aspekte sind in der historisch-theologischen Einleitung zu Brief 12 (vom 24. Mai 1830) darzulegen.
4.2 Der schwierige Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn Puseys in England (1828-1829)
a. Unverständnis und Verwirrung: Die Rezeption des ,,Enquiry into German Theology"
In seinem ,,Enquiry into Theology" hatte Pusey den Rationalismus als eine schmerzhafte, aber notwendige Phase der Läuterung eines in der Orthodoxie intellektualistisch erstarrten und im Pietismus gefuhlig verschwommenen Protestantismus gesehen, der in der Vermittlungstheologie seiner deutschen Lehrer letztlich zu einer Versohnung von Wissen und...