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33. Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache, Mannheim, 11.-13. März 1997
Rund 300 Tagungsteilnehmer waren in der Erwartung zur IdS-Tagung nach Mannheim gekommen, Neues zu erfahren zum facettenreichen Thema Sprachgeschichte - Zeitge- schichte. In der kurzen Eröffnungsrede wies Gerhard Stickel (IdS) darauf hin, daß eine Aufgabe der Tagung darin bestehen solle, einer Ausdeutung des "Verlegenheitsbindestri- ches" zwischen den Wörtern Sprachgeschichte und Zeitgeschichte einen Schritt näher zu kommen. Für eine bilanzierende Sprachgeschichte des 20. Jahrhunderts sei es noch zu früh, einfach deshalb, weil die objektivierende Beobachterperspektive fehle. Im An- schluß an Stickels Einführung wurde der diesjährige Hugo Moser-Preis an Ulrike Demske (Leipzig) verliehen, deren Interesse - im Rahmen eines Habilitations-Projekts - der synchronen und diachronen Erforschung der Nominalphrase im Deutschen gilt.
In seinem Einleitungsreferat "Vom Sprachimperialismus zum gebremsten Sprach- stolz. Das 20. Jahrhundert in der sprachenpolitischen Geschichte der deutschsprachigen Länder" zeigte Peter von Polenz (Trier) zunächst, daß für die Sprachenpolitik von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg die Unterdrückung von Minderheitenspra- chen charakteristisch war. Im ersten deutschen Nationalstaat wurde das Ziel einer deutschsprachigen (Zwangs)Einsprachigkeit verfolgt: der Sprachnationalismus bzw. Sprachimperialismus verschärfte sich. Sprachimperialismus kann zwar nicht als ein ge- nuin deutsches Phänomen gesehen werden, doch ist in Deutschland eine Kontinuität vom Wilhelminischen Zeitalter bis zur Zeit des Nationalsozialismus festzustellen. Als Sprachkolonialismus bezeichnete von Polenz die Unterdrückung des Polnischen in der Bismarck-Zeit. Sie erinnert in vielerlei Hinsicht vor allem im Vokabular zur Bezeichnung der Polen und des deutsch-polnischen Verhältnisses an die NS-Zeit. Im Laufe der Zeit und vor allem nach der NS-Zeit, in der alles Fremde verfolgt worden war und so auch fremde sprachliche Einflüsse abgelehnt worden waren, wurde das Deutsche mehr und mehr zu einer weitgehend akzeptierten, an Lehnwörtern reichen Mischsprache, und heute ist die Einstellung sehr weit verbreitet, Englisch als dominante Sprache zu akzep- tieren. Aufgrund der deutschen Geschichte hält man von jeder Form sprachimperialisti- scher Bestrebungen in Deutschland Abstand, und Kluges Glaube an die deutsche Welt- herrschaft ist inzwischen am stärksten widerlegt im Bereich der Wissenschaftssprache. Hier rangiert Deutsch weit abgeschlagen hinter Englisch, Russisch und teilweise auch schon hinter Japanisch. Überhaupt hat das Deutsche heute in der politischen und diplo- matischen Kommunikation eine schwache Stellung. Die Einstellung der Deutschen zu ihrer Sprache heute spiegelt sich laut von Polenz wider in dem in Anlehnung an Bertolt...