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BJS 18 (2008) 4:649-662DOI 10.1007/s11609-008-0035-2
ESSAY
1. Einfhrung
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Rolle dem Soziologen Georg Simmel bei der theoretischen Fundierung der Stadtsoziologie zukommt. Es handelt sich mithin um einen Beitrag zur stadtsoziologischen Theoriedebatte. Nun ist es nicht so, dass es in der Vergangenheit innerhalb der Teildisziplin keine Theoriedebatten gegeben htte, ganz im Gegenteil. Allerdings hat die deutsche Stadtsoziologie in den letzten Jahrzehnten immer wieder, ihren wissenschaftlichen Stellenwert resmierend, selbstkritisch festgestellt, dass es ihr nicht gelungen sei, den eigenen Untersuchungsgegenstand fr die allgemeine sozialwissenschaftliche Theoriebildung anschlussfhig zu halten. Vielmehr habe sie sich in den letzten zwanzig Jahren in weitgehend fruchtlosen Debatten mit sich selbst beschftigt (vgl. Krmer-Badoni 1999: 414). Detlev Ipsen (2000) kommt in seiner Bestandsaufnahme der Stadt- und Regionalsoziologie zu dem Ergebnis, dass die Frage, wo und unter welchen Bedingungen heute und morgen die Entwicklungschancen fr Laboratorien der Moderne liegen, weiterer theoretischer Begrndung und empirischer Forschung bedrfe (ebd.: 283). Nachdem im April 2005 auf einer Tagung der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie noch einmal der Mangel theoretischer Anschlussfhigkeit besttigt wurde,1 mndete die Debatte ber Die Wirklichkeit der Stdte und die Zukunft der Stadtsoziologie mittlerweile in eine theoretische Grundsatzdebatte (vgl. Berking/Lw 2005). Dabei geht es nicht um die von Ipsen u. a. geforderte Theoretisierung der Stadtforschung. Vielmehr kritisiert eine neue Generation von Wissenschaftlern einen heute in der deutschen Stadtsoziologie dominierenden Strukturalismus. So wenden sich Berking und Lw in ihrem programmatischen Aufsatz erstens gegen eine allgemeingltige abstrakte Vorstellung von der Stadt als Ausdruck moderner Gesellschaften, die bis heute den meisten Untersuchungen zugrunde liegt. Zweitens lehnen sie die konkrete Vorstellung von der Europischen Stadt als eurozentristische Sicht der Dinge ab. Drittens schlie-
O. Schller-Schwedes ()
Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung Technische Universitt Berlin
Salzufer 17-19, 10587 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
1 Vgl. Nachrichtenblatt zur Stadt- und Regionalsoziologie, Juni 2005. http://www.sektion-stadtsoziologie.de, Mrz 2008.
Der Stadtsoziologe Georg Simmel
Ein Missverstndnis und seine Folgen
Oliver Schller-Schwedes
650 O. Schller-Schwedes
lich kritisieren sie die globalisierungstheoretisch begrndete These vom Bedeutungsverlust des Lokalen bzw. des stdtischen Raums. Dem blutleeren Strukturalismus der aktuellen deutschen Stadtsoziologie stellen Berking und Lw die Forderung nach einer kulturanthropologischen Stadtforschung entgegen. Sie pldieren fr einen Perspektivwechsel, der die spezische Stadt in den Blick nimmt, die sich in den unterschiedlichen lokalen Rumen als vielgestaltiges Phnomen prsentiert. Problematisch erscheint allerdings, dass...