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Mehr als zweihundertfünfzig Zuschauer in ca. fünfhunclert Aufführungen auf mehreren Tourneen im spanischen Inland: Das Theaterprojekt Trilogía de la juventud (Trilogie der Jugend) von José Ramón Fernández, Yolanda Pallín und Javier García Yague kann zweifelsohne als der kommerzielle Überraschungserfolg cler alternativen spanischen Theaterszene der letzten Jahre gelten. In drei Dramen1 werden dem Publikum drei Momentaufnahmen aus der jüngsten Vergangenheit Spaniens dargeboten: Der erste Teil, Las manos (Die Hände), zeigt das mühevolle und entbehrungsreiche Leben, das die Jugendlichen, von der Erfahrung der Armut und der Resignation geprägt, Ende der vierziger Jahre auf dem Land führen; im zweiten Teil, Imagina (Stell' dir vor), der während der letzten Jahre des Franquismus in einem industriell geprägten Vorort einer groisen Stadt spielt, werden die großen Träume und Utopien der Jugendlichen nach Freiheit und Demokratie verhandelt; schließlich steht im dritten Teil 24/7 - veinticuatrohorasaldíasietedíasalasemana (24/7 - vierundzwanzigstundenamtagsiebentagediewoche), die aktuelle Generation junger Menschen, die Enkel und Kinder der vorangegangenen zwei Generationen, im Mittelpunkt, die im postmodernen Zeitalter der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft ihren Platz finden müssen.
Der vorliegende Beitrag möchte in doppelter Hinsicht dieser theatralischen Erfolgsgeschichte tiefer auf den Grund gehen: Zunächst geht es darum, das alternative Theaterprojekt Trilogia de la juventud in der gegenwärtigen spanischen Theaterlandschaft zu verorten und vorzustellen. In einem zweiten Schritt wird die Frage untersucht, inwieweit das Theater hier als Medium der Repräsentation und Konstruktion von Identitat und Erinnerung fungiert. Dabei geht der Beitrag einerseits cler Frage nach, welche identitätsbildenden Prozesse auf der individuellen Ebene der dramatischen Figuren in den unterschiedlichen Momentaufnahmen der jüngsten spanischen Geschichte in inhaltlicher und formaler Hinsicht theatralisch inszeniert werden. Andererseits werden auf der Text- und Aufführungsebene analysierbare ästhetische Formen daraufhin befragt, inwieweit sie auf die außerliterarische Wirklichkeit der Zuschauer wirken und clamit zur Beeinflussung kultureller Vorstellungswelten uncl Identitäten beitragen können.
1. Trilogía de lajuventud: Die Erfolgsgeschichte eines alternativen Theaterprojektes
Seit Francos Tod im Jahre 1975 hat die einstmals primär privatwirtschaftlich orientierte und von der Zensur gebeutelte Theaterlandschaft Spaniens starke strukturelle Veranderungen erlebt:2 Nach einer anfänglichen Krise während der transición (1975-1982), jenes friedlichen Übergangs in die Demokratie, wurden das öffentliche Theatersystem seit dem Regierungsantritt der Sozialisten im Jahre 1982 gezielt gefördert und eine Politik der Dezentralisierung und Öffnung hin zur Provinz betrieben. Die Folge war, dass das spanische Theatersystem in öffentliche und private Theater...