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1. Einleitung
Der arabische Philosoph und Rechtsgelehrte Averroës (Ibn Rusd, 1126-1198) gilt innerhalb der Geschichte der arabischen Philosophie als der am meisten Aristoteles verpflichtete Autor. ' Seine auf Anregung des Almohadenherrschers Abu Ya'qub Yusuf entstandenen Kommentare zu den aristotelischen Werken beschränken sich nicht auf das Kommentieren, sondern entwickeln vielmehr eine eigene Philosophie, die sich in bewusster Abgrenzung zu Avicenna (Ibn Sina, st. 1037) und al-Gazili (st. 1111) als konsequenter Aristotelismus darstellt.2
Während seine Wirkung in der islamischen Welt jedoch relativ gering blieb,3 hatten die Kommentare des Averroës im lateinischen Westen eine enorme Wirkung. Mit dem Aristotelismus drang im 13. Jahrhundert auch die Auslegung desselben durch Averroës in die Fakultäten der artes liberales in Europa und besonders in Paris ein. Versuchten einige Philosophen, von denen der erfolgreichste der heilige Thomas von Aquin war, die Lehren des Aristoteles mit der christlichen Religion zu harmonisieren, so folgten andere Philosophen der inneren Konsequenz des aristotelischen Wissenschaftsgebäudes und machten sich Meinungen zu eigen, die den theologischen Dogmen offensichtlich widersprachen. Viele dieser Meinungen wurden auch von Averroës vertreten, sodass von einem .,lateinischen Averroismus" gesprochen wurde.4 Siger von Brabant, der seine Erkenntnistheorie streng aristotelisch auf de anima aufbaut, steht Averroës noch am nächsten, doch relativierte er seine Psychologie in der Auseinandersetzung mit Thomas unter deni Druck drohender Schwierigkeiten.5
Für großen Gesprächsstoff unter den Theologen und Philosophen der Sorbonne sorgte die Lehre des Averroës von der überindividuellen Einheit des materiellen Intellekts. Dièse Lehre stellte wesentliche Inhalte des christlichen Glaubens in Frage. Das Schicksal der eigenen seele nach dem Tod, die Bestrafung am Jüngsten Tag und die Einkehr ins Paradies schienen mit der Vorstellung eines denkenden Telles der seele, der nur einer für alle Menschen ist, schwer vereinbar. Doch der heftige Widerstand gegen die Intellektlehre des Averroës, für den die Schrift de unitate intellectu contra averroista des Thomas von Aquin beispielhaft steht und der wohl das persönliche Schicksal eines so hervorragenden Philosophen wie Siger von Brabant besiegelte, fasste zu kurz und wurde der Komplexität dieser Lehre nicht gerecht.6 In seiner theologischen Verteidigung der Philosophie al-kasf 'an manahibg al-adilla1 (Die Untersuchung der Beweismethoden) räumt Averroës ausdrücklich die Möglichkeit individueller Unsterblichkeit ein: ,,Die Auferstehung ist eines der Dinge, über deren Existenz alle Religionen übereinstimmen und für das es unter den Gelehrten schlüssige Beweise gegeben hat. "8...