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0. Ziel des Beitrages
Die frühe Beschäftigung mit den Kalmücken geht auf persische Reisende sowie deutsche und mongolische Wissenschaftler zurück, allen voran Peter S. Pallas (s. Emsheimer 1987) und von Bergmann (1804). Ins Zentrum der deutschsprachigen Wahrnehmung rücken die Kalmücken verstärkt nach der partiellen Besetzung Kalmückiens durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg (s. Hoffmann 1974). Die periphere Lage Kalmückiens hat dazu beigetragen, dass es außerhalb Russlands kaum zur Beschäftigung mit dem Kalmückischen gekommen ist, während innerhalb Russlands die Tabuisierung der Deportationsthematik bis heute dafür sorgt, dass die Kalmücken und ihre Kultur nur selten thematisiert werden. Da es sich beim Kalmückischen um eine westmongolische Sprache handelt, wird sie innerhalb des Wissenschaftszweigs der Mongolistik untersucht. Obwohl das bedeutendste Werk der kalmückischen Sprache - das aus dem 15. Jahrhundert mündlich überlieferte Heldenepos Dzargar in zwölf Gesängen - schon sehr früh das Interesse europäischer Sprachwissenschaftler auf sich zog, ist das Kalmückische mit seinen verschiedenen Mundarten bis heute schlecht untersucht. Im Gegensatz dazu können durch die Forschungen von Schorkowitz (1992,2001) Fragen zur Gesellschaft und politischen Organisation der Kalmücken als besser untersucht gelten. Un erforscht sind Themen wie die heutige Situation der kalmückischen Identität, derSprachzustand des Kalmückischen und Phänomene der Revitalisierung kalmückischer Kultur. Die Autoren haben daher auf mehreren Feldforschungen und privaten Aufenthalten in den Jahren 2012-2014 in zahlreichen Interviews ethnographische und biographische Daten in ganz Kalmücken gesammelt Im Folgenden soll zu Beginn ihrer Forschung versucht werden, die heutige Situation der Kalmücken in Russland zu beleuchten, indem auf den Minderheitenbegriff eingegangen, die generelle Situation zwischen Mehrheitsbevölkerung, Staat und Minderheiten beleuchtet und die besondere Lage der Kalmücken und ihrer Sprache knapp beschrieben wird.
1. Kalmückien und die Kalmücken
Die Kalmücken sind das einzige oiratische (westmongolische), buddhistische Volk tibetanischer Prägung in den geographischen Grenzen Europas. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten sie als Nomaden vorwiegend von Rinder- und Kamelzucht, seltener von Schaf- und Ziegenzucht, ortsweise auch von Fischfang, während Ackerbau in der fast wasserlosen Steppe nur in den wenigen Flusstälern Kalmückiens möglich ist Sie leben heute überwiegend in der 1992 gegründeten, zur Russischen Föderation gehörenden Autonomen Republik Kalmückien, nordwestlich des Kaspischen Meeres und westlich der unteren Wolga. Nach der russischen Volkszählung von 2002 stellen sie gut die Hälfte der Bevölkerung Kalmückiens, gefolgt von Russen, Darginern, Kasachen, Deutschen und anderen Nationalitäten. Amtssprachen sind...