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"Das Theater der weißen Revolution ist zu Ende"
(Der Auftrag)1
1979 erschien Heiner Müllers Stück "Der Auftrag", das Motive aus Anna Seghers Geschichte "Das Licht auf dem Galgen" verwendet. Die Rahmenhandlung, die es auch in der Erzählung gibt, ist dramaturgisch gut verwendbar und wird hier auch benutzt, um die Verschachtelung des Theaters im Theater darzustellen. Im Stück wird zusätzlich noch das "Theater der Revolution" gespielt und nur die jeweilige Maskierung deutet auf die unterschiedlichen Spielebenen.
Diese durchgehende Theatralisierung der ganzen Handlungsebene ist ein wichtiges Element des Stückes. Dabei werden literarische und theatralische Vorbilder benutzt und gleichzeitig umfunktioniert. Brechts "Die Maßnahme", Büchners "Dantons Tod", selbst Anna Seghers "Das Licht auf dem Galgen" liefern Motive und Impulse, die als verwandelte Zitate auftreten und auf die Unmöglichkeit hindeuten, das Original genau abzubilden.
Durch die Benutzung solcher Elemente wird auch der Aussagekern des Stükkes beleuchtet, der das emanzipatorische Potential bestimmter Revolutionsmodelle betrifft. Die Einschätzung des Modells der europäischen Aufklärung unterscheidet sich wesentlich von der einer Anna Seghers und daher wird auch ihre Übertragung nicht für wünschenswert gehalten.
Ein Stück über eine Revolution, geschrieben 1979, erfährt aufgrund der radikalen weltpolitischen Veränderungen der neunziger Jahre eine Bedeutungsverschiebung. Denn in einer Zeit, in der die sozialistische Utopie von Grund auf in Frage gestellt worden ist, scheint eine Diskussion über Revolutionen zunehmend zu einem Anachronismus zu werden. Dennoch wäre es falsch, die in diesem Stück dargestellten Konflikte als anachronistisch abzutun, denn das Stück behandelt nicht nur die Frage von Revolution und Revolutionsexport, sondern vor allem im Hinblick auf den letzteren Aspekt die Frage des Verhältnisses zwischen "Erster" und "Dritter" Welt, die auf einer allgemeineren Ebene noch Gültigkeit hat. Heiner Müller zeigt, wie die sog. "Peripherie" sich vom "Zentrum" befreit; jetzt hat sich das Zentrum des Sozialismus aufgelöst; die Fronten sind nicht mehr geteilt.2
Die Grenzen zur "Dritten" Welt sind jedoch deutlicher als je zuvor. In einer weltpolitischen Situation, in der die Länder der Dritten Welt dem kapitalistischen Marktprinzip voll ausgeliefert sind, ist es interessant zu untersuchen, wie bei Heiner Müller die Dichotomisierung beider Welten auch ideologisch aufrechterhalten wird. Die Analyse des Stückes "Der Auftrag" wird sich daher hauptsächlich mit dieser Frage beschäftigen, anstatt den vielen ausführlichen Analysen noch eine weitere hinzuzufügen.3
In einem Gespräch mit Sylvere Lotringer 1982 behauptet Heiner Müller: Ich glaube...