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Abstract: How does philosophy interact with literature? The reception of Medea's central monologue (lines 1019-1080) in Euripides' homonymously titled tragedy shows how literature can generate philosophical conceptions. Medea, a mythological and literary character, murders her own children in order to get back at her husband and rebuild her status and her notion of justice. Her character and her actions have become different models for the opposed schools of platonic and orthodox stoic philosophers. A new historical reconstruction of lost stoic interpretations of Euripides' tragedy, based on philosophical discussions of the play and stoic theories of mind and action, allows us a new understanding of the debate, of the distinctions between platonic and stoic theories of mind, and of the role that literature can play in developing philosophical theories.
Keywords: Euripides, Medea, Stoisch
1 Zur Geschichte des Medea-Monologes (V. 1019-1080)
Um diesen Monolog (V. 1019-1080) will es immer noch nicht still werden. Die zentrale Frage lautet: In welcher Weise ist die unerhörte Tat des Kindermordes psychisch motiviert; wie ist ein Mensch beschaffen, der sich zu einer solchen Tat getrieben sieht? Spätestens seit Aristoteles ist die Ethik auch eine Theorie der Affektbewältigung, und die Geschichte der Moralphilosophie ist nur zu verstehen, wenn man ihr das Problem der Bewältigung der Affekte zugrunde legt. In diese Geschichte sind auch die höchst umstrittenen Euripides-Verse 1078-80 eingegangen, in denen Medea in epigrammatischer Zuspitzung etwas sagt, das gleich zum Ausdruck von verschiedenen Seelenkonzeptionen verschiedener Philosophenschulen geworden ist. Galen (1978), für den die platonische Seelenteilungslehre förmlich in diesen Euripides-Versen steht, gibt dieselben folgendermaßen wieder: "I understand the evils I am going to do, but anger [thymos] prevails over my counsels [bouleumata]" (S. 188-191). Entsprechend der 'Kehrtwende' zur platonisch-aristotelischen Seelenteilungspsychologie, auf die Poseidonios und Galen wieder setzen, hat sich dieselbe in der europäischen Literaturund Philosophiegeschichte durchgesetzt, und nicht die stoische Seelenteilungslehre.
2 Die platonisch-aristotelische Interpretation
Die traditionelle Auffassung ist also die vom Leidenschaftsdrama: Der Konflikt Medeas wird platonisch als Kampf zweier opponierender 'Seelenteile' verstanden (nämlich des rationalen und irrationalen: Logikon und Alogon), der damit endet, dass die Vernunft(logismos) von der Begierde, genauer: dem Zorn (thymos), überwältigt wird. Diese Auffassung birgt in den Augen einiger Interpreten Schwierigkeiten: So kommt Manuwald zu dem Ergebnis, daß die Einheit der euripideischen Konzeption nur zu retten sei, wenn...