Abstract: Artistic Research and Phenomenology as Theory of Experience in Dance. Artistic research is starting to be taken seriously in Germany. This kind of research asks, first of all, whether knowledge is equivalent to science and, secondly, repudiates that art is not accessible discursively. The institutional and social demarcations between artistic, scientific and moral practice that were developed in the 18th century are now beginning to become more permeable and form new configurations. In this article I therefore advocate for a meaningful cooperation between phenomenology and artistic research as theory of the experience. I limit this model to dance.
Keywords: Artistic research, Phenomenology, phenomenology of dance, phenomenology of the body, theory of experience.
Obwohl Erfahrung in den verschiedenen philosophischen Richtungen jeweils anders interpretiert worden ist, hat diese überwiegend mit der Differenz von Besonderem und Allgemeinem, von Unmittelbarkeit und Vermittlung zu tun. Eine adäquate philosophische Darlegung der Erfahrung erweist sich als sehr komplex, denn einerseits unterscheidet sich Erfahrung gewiss von Theorie, andererseits ist sie so sehr mit ihr verknüpft, dass sie nicht nur als ihr purer Gegensatz verstanden werden darf. Die Spannung zwischen Allgemeinem und Besonderem (tode ti, ti en einai) wird in der Diskussion über die Vielfalt der Kulturen und Globalisierung nochmal verschärft, denn verschiedene Kulturen 'erfahren' sich selbst und die Welt anders (vgl. Elberfeld 2008a, 357-375). Eine Theorie der Erfahrung fordert demgemäß Kollektives im Individuellen anzuerkennen, zwar nicht als allgemeine Begriffe, aber als einverleiblichte Grundmuster, die unsere individuelle Erfahrung mitbestimmen (vgl. Bourdieu 2011). Die Erfahrung ist die unmittelbare Erfahrung von etwas, aber einerseits sind die sinnlichen Modalitäten, wie etwas erfahren wird, sozio-kulturell vor-strukturiert. Andererseits bedingt Erfahrung auch eine besondere Art des Verstehens und Denkens mit sich. Der Leib bzw. Körper1 darf als grundlegendes Medium dieser Vermittlung zwischen Allgemeinem und Besonderem verstanden werden (vgl. Uehlein 2011 und Waldenfels 2010, 15). Die philosophische Erschließung dieser Zwischenbereiche, welche menschliche Erfahrung als solche kennzeichnen, ist eine der wichtigsten Aufgabe der heutigen Philosophie.
Phänomenologie und Tanz
Der Leib bzw. Körper ist die Bedingung der Möglichkeit jeder individuellen sinnlichen Erfahrung (vgl. Elberfeld 2008 a, 357). Dieser fungiert jedoch in unserem Alltag als leiser Begleiter aller unserer Handlungen und Aktionen, und wir bemerken den eigenen Körper bzw. Leib meist erst, wenn nicht funktioniert, beispielweise bei Krankheit oder Schmerz: und dann stört. Der Tanz - auch als ein Experimentierfeld moderner Kultur - bietet eine signifikante Erweiterung zur nicht ausreichenden Herangehensweise an eine Phänomenologie der Leiblichkeit allein über Alltag und Krankheit. Denn der Tanz kann wie ein Vergrößerungsglas agieren, welches die sinnlichen Formen und Strukturen - unter denen wir uns selbst und die Welt erleben - anders und neu sichtbar macht. Tanz ist eine Form der Selbstbewegung, welche eine Selbstbezüglichkeit des/der Tänzers/in mit seinem/ihrem Körper voraussetzt. Ähnlich der Musik entspricht der Tanz einer zeit-flüchtigen, ähnlich der Architektur einer räumlichen Kunst. Der Tanz. bietet eine Form der Bewegungsforschung an, die den weiten Raum nicht verdinglichter Erfahrung des physischen Körpers als Leib thematisch erkundet und erweitert (vgl. Waldenfels 2008, 13-22; Legrand/ Ravn, 2009, 389-408). Die Selbstbezüglichkeit des/der Tänzers/in in seinen/ihren Bewegungen kann als sinnliche Reflexion verstanden werden.2 Die klassische Trennung zwischen Subjektivität und Objektivität ist beim Tanzen nicht möglich: die Subjektivität ist objektiv und die Objektivität ist subjektiv. Die häufig nur als 'flüchtig' betrachtete Kunstform des Tanzes, in der die Bewegungen des menschlichen Leibes bzw. Körpers den Ausgangspunkt bildet, ist ein Experimentierfeld für Erfahrungen des Körpers bzw. Leibes. An die dort erprobten Erfahrungsformen kann die phänomenologische Beschreibung anknüpfen und somit ihren Erfahrungsbezug erweitern. Die scheinbare Kluftzwischen Philosophie und Tanz - insofern sich erstere mit Ideen und letztere mit körperlicher Bewegung auseinandersetzt - ist kleiner als vermutet. Insbesondere die postmodernen Tanzstücke ähneln einem Labor der Erfahrung oder philosophischer Auseinandersetzungen mit dem Tanz (vgl. Alarcón 2009, 183). Die Bewegung des Leibes bzw. Körpers wird in der Phänomenologie durchaus ernst genommen. Husserls Begriffdes kinästhetischen Bewusstseins (vgl. Claesges 1964, 76) und Merleau-Pontys Verständnis einer motorischen Intentionalität (vgl. Merleau-Ponty 62008, 166) zeugen unter anderen dafür. Trotz dieses Interesses an die Bewegung fehlt eine phänomenologische Beschreibung über die subjektive Erfahrung der Bewegungen des Leibes bzw. Körpers selbst, oder diese ist nur ansatzweise vorhanden. Die dynamische Struktur des (Leib)Bewusstseins - als ein Bewusstsein das in ständiger Bewegung ist - muss ausgehend von zeitlichen und kinästhetischen Erfahrungsformen neu beschrieben werden. (vgl. Schmitz 2006, 18-30; Sheets-Johnstone 2007 und Elberfeld 2008 a).
Das 'Wissen' über das Besondere: cognitio in actu exercito
In der Antike und in der Scholastik wurde das 'Wissen' über das Besondere, das aus der Empirie hervorgeht (vgl. Aristoteles Met. 980 b 28 ff), als eine Form von 'Wissen' anerkannt. Die späte Scholastik unterscheidet beispielsweise zwischen cognitio in actu signato, die als Erkennen verstanden werden kann, und der cognitio in actu exercito, die mehr als ein praktisches Wissen ausgelegt werden kann. Die Letztere bezeichnet das Wissen, das man in der Ausübung einer bestimmten Handlung von etwas gewinnt: zum Beispiel was ich von der Liebe weiß, wenn ich liebe oder vom Schwimmen, wenn ich schwimme (vgl. Müller 1981, 109, 113, 123). Mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Methode und ihrer erkenntnistheoretischen Begründung durch Descartes wurde die unmittelbare Erfahrung der Welt und dieses praktischen Wissens zunehmend abgewertet und in das 'willkürliche und zufällige' Reich der bloß subjektiven Meines verbannt.3 Die Ausblendung des Leibes, der Sinne und des Erlebens innerhalb dieses Denkens machen es notwendig, diese Themen für die Philosophie zurück zu gewinnen (vgl. Alarcón 2009). Lebensphilosophie, Phänomenologie, Existentialismus, Frankfurter Schule usw. wehren sich gegen eine dualistische Betrachtung des Menschen und gegen die Reduktion des Denkens zur Verifizierung vermeintlich objektiver Daten. Es geht nicht darum, die Sinnlichkeit gegen den Verstand auszuspielen, sondern darum, die Sinnlichkeit als eine Form reflexiven Wissens, die auch ohne bewusstes Denken auskommt, anzuerkennen und auszuarbeiten.4 Husserl plädierte in dieser Richtung in seinem phänomenologischen Ansatz für einen Rückgang auf die Lebenswelt, auf die Welt der Erfahrung. "Der Rückgang auf die Welt der Erfahrung ist Rückgang auf die Lebenswelt, d. i. die Welt, in der wir immer schon leben, und der Boden für alle Erkenntnisleistungen abgibt und für alle wissenschaftliche Bestimmung." (Hua, 38). Die Lebenswelt, die Welt der Erfahrung, ist ein zentrales Thema der Phänomenologie bis heute (vgl. unter anderem Husserl 2008, Fuchs 2008, Elberfeld 2006, Waldenfels 2005). Das Zurückgehen zu den 'Sachen selbst', zu dem, was und wie etwas erfahrbar ist, teilt die Phänomenologie mit vielen Vorgehensweisen in der künstlerischen Forschung. In beiden Bereichen werden Erfahrungsstrukturen zugleich erforscht und erweitert zugänglich gemacht. Einen zentralen Ansatz, Kunst in dieser Weise zu verstehen, bietet John Dewey in seinem Buch Art as experience, das auch ein Ausgangspunkt für die Entwicklung performativer Künste seit den 1950er Jahren wurde. Dewey sieht in seinem Buch auch die Notwendigkeit, Philosophie und den Vollzug ästhetischer Erfahrung aneinander zu binden: "Der Philosoph muß also die ästhetische Erfahrung aufsuchen, wenn er verstehen will, was Erfahrung ist." (Dewey 1988, 321).
Künstlerische Forschung und Phänomenologie
Leiblichkeit, Sinnlichkeit und Erfahrung sind nicht nur für die Philosophie und Soziologie ein wichtiges Thema geworden. Sie sind seit den 60er Jahren ein permanentes Thema der Künste. Fischer-Lichte hat mit ihrer Ästhetik des Performativen die Veränderungen der Künste seit den 60er Jahren auf den Begriffgebracht (Fischer-Lichte 2004). Im Gegensatz zur kantischen Auslegung von Erfahrung, welche die Gesamtheit der gültigen Erfahrung auf die Gestaltung ihres Materials (Sinnesempfindungen) durch die Kategorien des Intellekts zurückführt (vgl. KrV B 596), interpretiert Fischer-Lichte die Wahrnehmung selbst als einen Prozess der Bedeutungserzeugung in den Kunstaktionen der 60er Jahren. Damit trifftsie genau den Nerv dieser Ästhetik und deren erkenntnistheoretische Herausforderung. Moderne Kunst will nicht interpretiert oder verstanden, sondern im emphatischen Sinne erfahren werden. Der wissenschaftliche Ansatz, sofern er sich an naturwissenschaftlichen Paradigmen orientiert, plädiert für eine vermeintliche Objektivität, Beweis und Wiederholbarkeit sollen sichere Erkenntnis garantieren. Im Gegensatz dazu scheinen die Mehrdeutigkeit und Sinnlichkeit der Kunstwerke die Subjektivität auf eine besondere Art und Weise zu objektivieren. Kunst produziert Objekte, die sich einer Verdinglichung entziehen und welche ihren Sinn im Bereich der Erfahrung haben. Kunstobjekte dürfen nicht zerlegt und quantifiziert werden, Kunstobjekte möchten betrachtet werden. Deshalb thematisiert die künstlerische Forschung unter anderem jene Bereiche, welche die Wissenschaftaußer Acht gelassen hat: Subjektivität und Leiblichkeit. Kunst hat immer mit Erfahrung zu tun, aber es ist insbesondere der Charakter der Selbstreflexion der modernen Kunst (vgl. Bürger 1990), welche die künstlerische Forschung ganz in die Nähe der Phänomenologie als Theorie der Erfahrung gebracht hat.5 Die Phänomenologie will zu 'den Sachen selbst' zurückgehen und versucht diese, durch Beschreibungen und Analysen zu thematisieren. Die Künstler möchten, dass die Zuschauer nicht etwas interpretieren, sondern selbst etwas erfahren. In beiden Fällen wird die Erfahrung als solche thematisiert, dabei verliert aber die Erfahrung ihre bloße Hintergrundfunktion im Alltag und wird in die Aufmerksamkeit gehoben. Erfahrung und Wahrnehmung können sich selbst nicht begründen und bedürfen der Reflexion. Sie selbst weisen immer auf etwas anderes hin: das Wahrgenommene, das Erfahrene. Der Unterschied zwischen menschlicher Erfahrung und anderer Art von Erfahrung besteht gerade darin, dass wir uns dieser Erfahrungen gewahr werden und diese explizit im Rahmen einer Theorie bzw. einer phänomenologischen Beschreibung zugänglich machen können (vgl. Alarcón 2009, 136-142).
Künstlerische Forschung an sich ist nicht neu. Neu ist die zunehmende Bedeutung, welche dieser Art der Forschung zukommt (vgl. Dombois 2006). Neu ist auch der Versuch, künstlerische Forschung innerhalb des etablierten Wissens und der traditionellen Institutionen einzugliedern (vgl. Möllmann 2008, Badura 2011, Lynen 2011). Klaus Heid und Ruediger John setzen in ihrem Buch Transfer den Beginn künstlerischer Forschung mit dem Erscheinen des Buches von Cennino Cennini um das Jahr 1400 (Heid/John 2003, 7). Cenninis Werk Libro dell'arte o trattato della pittura soll das erste Buch sein, in dem ein professioneller Maler über die Malerei schreibt und dabei ausführlich über die Stellung des Künstlers in der Gesellschaftreflektiert. Nicht nur in der Malerei, sondern in allen Kunstsparten lassen sich einige Dokumente dieser Art finden, so dass bei allen Künsten eine Tradition künstlerischer Forschung nachweisbar wäre. Innerhalb der Tanztradition lassen sich Namen wie Domenico da Piacenza, Jean Georges Noverre, Rudolf von Laban und in letzter Zeit unter anderem Nancy Stark Smith oder Yvonne Rainer nennen. Bezeichnend für alle diese Arbeiten scheint die Tatsache, dass Künstler über ihre eigene Kunst nicht nur reflektieren, sondern in einem ihnen fremden Medium (mit Ausnahme der Dichter) ihre Kunst erklären, d.h. eine Theorie entwerfen. Praktisches Wissen und Theorie stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander, und die Theorie scheint vorzugsweise induktiv gewonnen zu sein. Das Modell des/der Künstlers/in der/die über sein/ihr eigenes Tun einen Diskurs entwirft, scheint heutzutage im Tanz von einem interdisziplinären Team ersetzt worden zu sein, das gemeinsam mit dem/der ChoreographIn über den Tanz und seine Möglichkeiten forscht. Das Ergebnis wird einem erweiterten Publikum zugänglich gemacht: wobei der Einsatz der Medien eine große Rolle spielt. Beispiele für diese neue Tendenz sowohl der Forschung als auch der Produktion bieten unter anderem die Tänzer und Choreographen Emio Greco, William Forsythe und Wayne McGregor (vgl. Gehm/Husemann/Wilcke (Hg.) 2007, 73-113). Die Ergebnisse solcher Forschungen können als ein 'Grenzobjekt' betrachtet werden, das die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen verschiedenen heterogenen Arbeitsgruppen ermöglicht. Von den erzielten Ergebnissen können nicht nur Tanzschaffende, sondern auch andere Berufssparten wie beispielweise Designer oder Informatiker profitieren. William Forsythes Erfolg mit seiner interaktiven CD Improvisation Technologies bestätigt den Sinn solcher Projekte. Von der Theoriebildung her betrachtet handelt es sich um einen partizipativen Diskurs, weil die KünstlerInen in den Prozess des Verstehens ihrer Kunst selbst involviert und daran maßgebend beteiligt sind. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Kunsttheorien so verfahren und dabei stehen bleiben sollen. Ferner bleibt es eine Aufgabe der Theoriebildung, eine Metasprache zu bilden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Stile berücksichtigt und verstehbar macht.
Fazit
Leiblich-Sinnliches ist dem Bewusstsein zugänglich und darf deswegen legitim zum philosophischen Thema gemacht werden. Eine große Herausforderung dabei ist die phänomenologische Beschreibung dieser leiblich-sinnlichen Strukturen, die selbst gerade keine Theorie sind. Dass der Leib bzw. Körper nicht mehr einfach als eine res extensa, als ein Körper unter anderen, verstanden wird, ist mittlerweile eine philosophisch verbreitete Interpretation. Wie genau aber dieser lebendige Körper, dieser Leib sich zeigt auch in künstlerischen Erfahrungsformen, ist bisher noch nicht radikal genug für das Thema genutzt worden. Denn der Leib bzw. Körper zeigt sich bei zunehmender Erforschung als eine komplexe Realität, welche nicht nur im Gegensatz zum Denken und zur Kultur (Natur), sondern gerade in Verbindung mit ihnen zu verstehen ist.
Erfahrung setzt genauso Wissen voraus, wie Wissen Erfahrung impliziert. Beide sind Momente einer Bewegung des Denkens, die nicht nur unterschiedlich sind, sondern auch eine Einheit bilden und nicht als unabhängig voneinander verstanden werden sollten. Sinnlichkeit lässt sich nicht mehr als Material des formgebenden Verstandes auslegen, genau so wenig aber als sein purer Gegensatz. Phänomenologie und künstlerische Forschung als Theorie der Erfahrung thematisieren in diesem Artikel die Funktion sinnlich- reflexiver Formen der Welterschließung. Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis, ihre Unterschiede aber auch Verschränkungen, dürfen nicht nur theoretisch, sondern auch innerhalb eines künstlerischen Projekts ausprobiert werden. Damit berührt dieser Ansatz die Frage nach der Vermittlung von Philosophie in anderen Formaten als in den herkömmlichen - wie Vorträgen, Vorlesungen, Seminaren, etc. - und knüpftan die Reflexionen einer Philosophie on stage an.6 Der Anspruch künstlerischer Forschung einer 'explorativ-experimentellen' Begriffsbildung zu verfolgen kann phänomenologisch erprobt und reflektiert werden. Phänomenologie und künstlerische Forschung können sich als Theorie der Erfahrung hervorragend ergänzen und diese sinnlichen Strukturen in Erfahren und Verstehen deutlich machen.
1 In der deutschsprachigen Phänomenologie in den meisten Fällen vom Leib, hingegen beispielsweise in der Tanzwissenschaftund anderen Kulturwissenschaften in der Regel vom Körper gesprochen. Um nicht von Anfang an diese beiden Diskurse nur aus terminologischen Gründen voneinander abzuscheiden, soll im Folgenden auf beide Wörter Bezug genommen werden, um durch die Forschungen in spezifischer Weise auslegbar zu bleiben.
2 Sinnliche Reflexion bedeutet hier keine zusätzliche nachträgliche Reflexion über die Bewegungen, sondern eher ein Gewahr werden der eigenen Bewegungen im Verlauf der Bewegung selbst (vgl. Alarcón 2009, 91- 96).
3 Seit dem 17. Jahrhundert wird zwischen primären (Ausdehnung, Bewegung, Gestalt) und sekundären Qualitäten (Farbe, Klang, Geruch, Geschmack und Wärme) unterschieden. Während die ersteren als objektiv (deutlich und sicher) gelten, werden die zweiten als subjektiv betrachtet (dunkel und konfus) (vgl. Klüger 2002 und Kutschmann 1986).
4 Sowohl die Antike als auch die Postmoderne plädieren für eine Pluralität von Erkenntnisvermögen. Die Antike hat die Rationalität aus dem 'Sein' begriffen. In dieser Hinsicht wird das Denken als jener Akt bezeichnet, der die Bestimmtheit von einem Etwas zu erfassen sucht. Jede Form seelischer Unterscheidungsleistung wird als Denken anerkannt, unabhängig davon, ob sie bewusst oder unbewusst vollzogen wird (vgl. Schmitt 1994, 59-85). An diese Tradition knüpftauch die postmoderne Diskussion über die Vielheit von Vernunftformen an. Welsch bezeichnet die Diskussion zwischen Modernisten und Postmodernisten als einen Streit um die Vernunft: Ist eine Einheit der verschiedenen Vernunftarten notwendig, und wenn ja, welche? Aus dieser Fragestellung entwickelt Welsch den Begriffder transversalen Vernunft(vgl. Welsch 41993, 304). Auch der Tänzer und Tanztheoretiker Rudolf von Laban zielt mit seinen Schriften auf die Überwindung jeder Form von Teilerkenntnis im Menschen. Denn kein Mensch kann nur durch den Verstand oder nur durch das Gefühl die Dinge und den Sinn der Dinge erfassen. Wenn der Mensch nur eine Teilkraftseines Wesens verwendet, um etwas zu erkennen, dann kann er auch nur ein Bruchteil davon verstehen. Es kommt auf das Vollbewusstsein und das Vollerkennen an. Laban nennt dieses Vermögen den 'tänzerischen Sinn': Denn durch diesen werden Eindrücke der Umwelt in ein körperlich-seelisch-geistiges Spannungsgefühl umgesetzt (vgl. Laban 1922, Tänzers, S. 21).
5 Vergleicht man den Tanz mit anderen Kunstgattungen und versucht einen allgemeinen Nenner für Modernität zu finden, dann scheint der Sachverhalt der Selbstreflexion auf das eigene Material und der Versuch eine autonome Tanzkunst zu bilden, ausschlaggebend zu sein. Ein Problem liegt darin, dass der Tanz nicht so eindeutig wie andere Kunstgattungen das 'Material' seiner Kunst definieren kann, denn dieses ist der lebendige Leib bzw. Körper und der Tanzdiskurs hat keine eindeutige Materialeinheit seiner Kunst definiert. Obwohl ein allgemeiner Konsens über den Charakter der Selbstreflexion in der Gestaltung der modernen Tanzkunst existiert, ist es nicht eindeutig, welcher Tanzstil und welche Choreographien diesen reflexiven Charakter am besten erfüllen. Denn bis Dato ist eine progressive Geschichtsschreibung des Tanzes üblich gewesen, in deren Schema immer der neue Stil den früheren abgelöst hat, und dann die Eigenschaftder Modernität erfüllen sollte (vgl. u.a. Manning 1993, 19; Huschka 2002, 21). Rolf Elberfeld plädiert in seinem Artikel "Bewegungsskulturen und multimoderne Tanzentwicklung" nicht über die Moderne in Singular zu sprechen sondern über die verschiedene Modernen: "Denn die Pluralität der Tanzentwicklung kann heute nicht mehr nur vor dem Hintergrund verschiedene Kulturen verstanden werden, sondern ist von den unterschiedlichen Modernen, die sich weltweit entwickeln, neu zu denken". (Elberfeld 2007, 219) Eine einschlägige Analyse für diesen Zusammenhang im Rahmen der Malerei bieten Gottfried Böhm, Paul Cézanne: Montagne Sainte-Victoire (1988) und Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist (2003).
6 Ein gelungenes Beispiel von Philosophie on Stage ist das Festival [soundcheck philosophie]. Philosophie, Performance, Festival 2011-2012 in Halle.
http://www.soundcheck-philosophie.de/index.html
Zitierte Literatur
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Mónica ALARCÓN *
* Dr. phil., geb. 1961, 2008 Promotion, 2003 Magister (Philosophie, Romanistik, Germanistik) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Studium der Philosophie in Valparaiso, Chile. Mitglied der "Society for Phenomenology and Media" und CLAFEN (Círculo Latinoamericano de Fenomenología). Gründungsmitglied der Forschungsgruppe "mBody" - Künstlerische Forschung in Medien, Somatik, Tanz und Philosophie.
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