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Kultur als Text Die anthropologische Wende in der Uteratunvissenschaft hg. von Doris Bachmann-Medick, Frankfurt a. M. (Fischer Taschenbuch Verlag) 1996, 303 S.
Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen hg. von Doris Bachmann-Medick, Berlin (Erich Schmidt Verlag) 1997, 328 S.
Wenn Bachmann-Medick von der "anthropologischen Wende" spricht, meint sie keines- falls die ältere Tradition der philosophischen Anthropologie in Europa, denn die bezeich- net sie bis hin zu Wolfgang Isers "Literarischer Anthropologie" als universalistisch, son- dern sie meint die neuere amerikanische Kulturanthropologie, die sich eher kulturrelativi- stisch versteht. Schon mit dem Verweis auf Franz Boas' Auswanderung von Deutschland in die USA könnte sie allerdings wie z. B. bei der Rezeption von Marx, Nietzsche und Freud von einem weiteren ,Reimport' sprechen, um so in der interkulturellen Rezeption der Theoreme die eigene Auffassung vom "Verhandeln" kultureller Differenzen zu stüt- zen. Zweifellos ist es die amerikanische Kulturanthropologie, die die wesentlichen Im- pulse gegeben hat, um die hiesige Debatte um Kultur- und Literaturwissenschaften anzu- stoßen. Bachmann-Medick geht es weniger um die ,Synergieeffekte' auf Seiten der Kul- turanthropologie und Ethnologie als auf Seiten der Literaturwissenschaft und gerade hier besteht wohl auch noch ein Nachholbedarf. Mit Clifford Geertz' "interpretive turn", Victor Turners "performative turn" sowie James Cliffords "literary turn", d. h. also mit der Auffassung von "Kultur als Text" und dem Konstruktionscharakter von Kultur, sind wir inzwischen vertraut.1 Was die Literaturwissenschaft aus dieser Begegnung gewinnt - außer ihrer Selbstbestätigung, wenn sie sich als universelle Textwissenschaft versteht - ist das Thema unter dem die Herausgeberin die Beiträge versammelt hat.
Die Erwartungen an eine Ethnologisierung der Literaturwissenschaft dürfen nun aber nicht als ein nur "punktueller Austausch von Methoden" (45) mißverstanden werden, denn im Grunde handelt es sich weiterhin um die jedem Literaturwissenschaftler vertrau- ten Methoden, sei es Kritische Theorie, Diskursanalyse oder New Historicism, sei es Semiotik, Dekonstruktion oder Intertextualität. Längst ist ja bekannt, daß sich z. B. im Theoriedesign des Postkolonialismus eines Homi Bhabha all dies wiederfindet. Die Her- ausgeberin betont deshalb die entscheidende Akzentverschiebung: "Ziel ist vielmehr, ei- nen neuen Gegenstandsbereich zu erschließen: ein Verständnis der Textvermitteltheit von Kulturen ebenso wie von kulturellen Implikationen literarischer Texte, auch in kultur- theoretischer wie kulturpolitischer Absicht." (45) Dabei muß fairerweise erwähnt werden, daß das methodische Arsenal nicht erst mit dem Postkolonialismus, sondern schon seit dem Feminismus eine solche...