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R. GRAEME DUNPHY: Opitz's Anno. The Middle High German Annolied in the 1639 Edition of Martin Opitz. - Glasgow: Scottish Papers in Germanic Studies 2003. (= Scottish Papers in Germanic Studies. Vol. 11). 189 S.; 5 Abb.
Anzuzeigen ist die zweisprachige Neuedition der editio princeps eines der auch iiberlieferungs- und wissenschaftsgeschichtlich bemerkenswertesten Texte des fruheren deutschen Mittelalters. Letztere (die editio princeps also) verthent nicht nur wegen ihres bertihmten Autors Martin Opitz (1597-1639), sondern auch mit Blick auf Entstehungszeit, Intention und Machart hbchste Beachtung. Wahrend die Besprechung einer Textedition die Kenntnis des edierten Primartextes in der Regel voraussetzen darf und sich rasch den Editionsprinzipien und ihrer Umsetzung zuwenden kann, lassen es die Umstande dieser 'Editionsedition' daher unverzichtbar erscheinen, auch die Vorlage genauer in den Blick zu nehmen. Es ist eben nicht das um 1080 entstandene Annolied als solches,1 sondern das an diesem geleistete Herausgeberwerk des schlesischen Dichters und Poetologen Opitz, dessen anhaltender Rang und Nutzen Dunphys Buch so begriiBenswert macht. Nicht eine weitere in der langst iiber ein Dutzend zahlenden Reihe der Annolied-Editionen liegt mit ihm vor, welche mit den fiir Stuthen- und Lehrzwecke eingeburgerten und bewahrten konkurrieren muBte2, sondern ein Werk sui generis, eben "Opitz's Anno".
Opitz' kurz vor seinem Tod 1639 abgeschlossene, in Danzig publizierte Edition des frmhd. Weltgeschichts- und Preisgedichts auf den Kdlner Reichs- und Erzbischof Anno II. (tl075) - sein letztes vollendetes und spaier von Bodmer treffend als "opus emortuale", eine Art poetologischpoetisches Vermachtnis also, bezeichnetes Werk - bietet mehr als nur den altdeutschen Grundtext, mehr auch als alle spateren Druckausgaben (jene Bodmers und Breitingers von 1745, die Opitz' Konvolut selbst zur Grundlage nimmt und noch um einiges erweitert3, einmal ausgenommen). Mit den zugehörigen Paratexten übertrifft sie den Umfang des Panegyrikus um ein Vielfaches. Lange vor Herder und den Romantikem bedeutete die Wiederentdeckung und Veröffentlichung der Dichtung, die Opitz als Incerti Poetae Teutonici Rhythmus de Sancto Annone in die Literaturgeschichte einführte, einen Grund- und Meilenstein deutscher Mittelaltenezeption. Sie entriß der vermeintlich so dunklen Epoche zwischen erstorbener und wiedergeborener Antike ein faszinierendes Denkmal historischer Reflexion, Selbstdeutung und Heilssuche im Banne ihrer vielleicht tiefsten Krise, des als Investiturstreit bekannten Konflikts zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, der nach heute gültiger Datierung des Annolieds unmittelbar vor den Augen des Dichters kulminierte.
Doch diese Seite des Gedichts...