Schlü sselwö rter: Politik und Recht, Rechtswissenschaft, Lehre, Forschung
Der in diesem Diskussionsbeitrag beleuchtete Forschungsansatz "Politik und Recht" stellt international einen zentralen Schwerpunkt des politikwissenschaftlichen Forschungsdiskurses dar. In diesem durchaus mit provokanten Thesen versehenen Text soll rudimentä re Ursachenforschung betrieben werden, weshalb das Recht als ein einflussreiches soziales Phä nomen seinen Stellenwert innerhalb der politikwissenschaftlichen Forschung hierzulande so hart erkä mpfen muss. Ferner sollen einige Grü nde dargelegt werden, warum eine Unterweisung der Studierenden der Politikwissenschaft in relevante juristische Themengebiete unter Berü cksichtung politikwissenschaftlicher Methodiken dringend geboten erscheint, und grob deren Aussehen skizziert werden.
"Politics and Law" or the Courage to Institutionalise
Keywords: political science and law, legal studies, teaching, research
Internationally, the research approach "Politics and Law" is an important element of the discipline political science. This text discusses the importance of law for understanding social structures and the difficulties of political science in Austria in dealing with law and its implications. It is examined what "Politics and Law", as a subfield of the discipline, may provide for research, and why students of political science should be taught in jurisprudential issues, and particularly constitutional law.
"Die Probleme werden nicht durch neue Information gelö st, sondern durch Neuanordnen dessen, was wir bereits seit langem gewusst haben."
Ludwig Wittgenstein
1. Stand der Dinge
Der hier vorliegende Text versteht sich als ein Sequel jener Diskussionsstimuli, die gleichenorts von Thomas Kö nig (2011) sowie von Tamara Ehs (2011a) gesetzt wurden. Beklagte damals zusammengefasst Ersterer die gesamtheitliche Konstitution der ö sterreichischen Politikwissenschaft in ihrer disziplininternen Suche nach einem eigenen Selbstverstä ndnis, so griff Zweitere diesen Gedanken auf und illustriert den von Kö nig artikulierten Vorwurf von mangelnden Forschungskooperationen bzw. innerdisziplinä ren Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen universitä ren Standorten in Ö sterreich anhand des Beispiels einer hierzulande schon einmal intensiver betriebenen politologischen Teildisziplin. Die Teildisziplin, die es auch in diesem knapp gehaltenen Diskussionsbeitrag nä her zu beleuchten gilt, ist jene, die im angloamerikanischen Raum bereits unter der Bezeichnung "Law and Politics" innerhalb der politikwissenschaftlichen Disziplin ihre Meriten verdient hat1, in Ö sterreich jedoch-auch curriculartechnisch-ü ber die Jahre hinweg einen Terrainverlust hinnehmen musste.
Die Grü nde hierfü r sind mannigfaltig. Zum einen verweist bereits Tamara Ehs (201 la, 199) richtigerweise auf die wissenschaftliche Provenienz der ersten Generation ö sterreichischer Politologinnen, die zum größ ten Teil Absolventinnen der alten rechts-und staatswissenschaftlichen Studienordnung gewesen sind und diesen Umstand auch in ihre Forschungstä tigkeiten einfließ en ließ en. Die nunmehr agierende "neue Generation" der Politikwissenschaftlerlnnen wurde demgegenü ber selbst niemals oder zumindest nur ungenü gend im Phä nomen des Rechts bzw. dessen gesellschaftspolitischen Implikationen unterrichtet. Zum anderen war das Recht als Forschungsgegenstand die lä ngste Zeit quasi ein Forschungsmonopol der Rechtswissenschaft, ohne dass vonseiten anderer Sozialwissenschaften taugliche Anstrengungen unternommen worden wä ren, diesen alleinigen (Forschungs-) Anspruch infrage zu stellen. Tamara Ehs hat diese Unzulä nglichkeiten anhand der fehlenden Auseinandersetzungen mit den durchaus auch politikwissenschaftlich interessanten Judikaten des EuGH durchdekliniert (ebd., 198), die zwar dogmatisch von der Rechtswissenschaft und von Zeit zu Zeit anlassbezogen vom Boulevard aufgegriffen werden, deren gesellschaftspolitischer Impetus sehenden Auges von der (Politik-) Wissenschaft hierzulande jedoch hä ufig vernachlä ssigt wird.2
So oder so. Letztendlich bleibt zu konstatieren, dass "Politik und Recht" innerhalb der ö sterreichischen Politikwissenschaft in den letzten Dekaden wissenschaftlich nur ä uß erst stiefmü tterlich behandelt wurde. Der habituelle Abneigungsreflex unserer Disziplin gegenü ber dem Recht ist jedoch-wie es nun im Folgenden aufzuzeigen gilt-mehr als unverstä ndlich.
Die jahrelang in Ö sterreich praktizierte Selbstfokussierung und Selbstreferentialitä t beider Wissenschaftsrichtungen kann natü rlich, wenn man es sich zunä chst einfach machen mö chte, mit der historisch bedingten Sympathie der ö sterreichischen Rechtswissenschaft zur "Reinen Rechtslehre" von Hans Kelsen (1960) erklä rbar gemacht werden, die ja bekanntermaß en keine Rechtfertigung der Rechtsgeltung auß erhalb des Rechtsordnung selbst zulä sst. Diese Reinheit der Rechtslehre wird auch heutzutage noch von der ö sterreichischen Rechtswissenschaft und deren Vertreterinnen in nahezu apologetischer Weise verfolgt. Der Trend, der sich auch in der aktuellen Curriculaordnung der Rechtswissenschaft widerspiegelt, geht dabei eher in Richtung einer weiteren Verschließ ung und Kokonisierung der Jurisprudenz, die von einer vehementen Verteidigung eines Analysemonopols des Rechts begleitet wird, als in Richtung einer wü nschenswerten Ö ffnung.3
Aber auch die Politikwissenschaft war seit jeher um eine mö glichst starke Abgrenzung gegenü ber dem Recht im Allgemeinen und der Rechtswissenschaft im Besonderen bemü ht. Analog zur Geringschä tzung der Politik und diskursiver politischer Prozesse in der Rechtswis- senschaft wird auch in der Politikwissenschaft nahezu reflexartig all jenes, was irgendwie mit Gesetz oder Recht zu tun haben kö nnte, zumindest kritisch beä ugt; dies aber absolut zu Unrecht. Eine solche Bestandsaufnahme kann von Vertreterinnen der Politikwissenschaft weder als produktiv noch als zufriedenstellend erachtet werden. Ziel muss es vielmehr sein, die von zahlreichen Ressentiments geprä gte Vorurteilskultur zu ü berwinden und, neben kurzen Exkursen zu grundlegenden Fragestellungen der Rechtsdogmatik, vor allem jene Themenstellungen zu akzentuieren, die evidente Berü hrungspunkte zwischen Politik und Recht sichtbar werden lassen.
Wä hrend die Politikwissenschaft primä r (politische) Prozesse in ihren Interessenfokus rü ckt, beschä ftigt sich die Rechtswissenschaft vereinfacht gesagt mit deren Ergebnissen, die sich regelmäß ig in Normen manifestieren. Solche Betrachtungsweise ngreifen, so richtig sie auch zunä chst erscheinen mö gen, letztendlich aber doch zu kurz. "Politik und Recht", als interdisziplinä rer Forschungsansatz, verlangt nach einem eigenen, genau zu definierenden Selbstverstä ndnis; es ist mehr als die oft zitierte Summe seiner Einzelteile. "Politik und Recht" versteht sich als eine in der Politikwissenschaft verortete Forschungsmethodik, die sich intensiv mit dem permanenten Wechselspiel zwischen politischen Prozessen und den sie ordnenden rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzt und dies als ihre zentrale Forschungsleitprä misse auserkoren hat. Dieser Ansatz oszilliert dabei zwischen der Untersuchung rechtlicher Ordnungsprinzipien und den durch diese determinierten Handlungsspielrä ume politischen Akteuren und soll bezwecken, profunde politikwissenschaftliche Kenntnisse in einen breiteren Kontext einzubetten. "Politik und Recht" untersucht in diesem Zusammenhang Steuerungswirkungen als auch das Steuerungsversagen innerhalb von politischen Systemen wie auch in bestimmten Politikfeldern, sowohl im Rahmen nationaler als auch europä ischer und internationaler Politik.
Ziel dieses Diskussionsbeitrages soll es im Kielwasser der oben zitierten Texte von Thomas Kö nig und Tamara Ehs sein, die Bewusstseinslage der ö sterreichischen Politikwissenschaft fü r die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit diesem politikwissenschaftlichen Teilgebiet weiter zu schä rfen und kurze Leitlinien zu skizzieren, anhand derer ein Studium von "Politik und Recht" verlaufen kö nnte.
2. Im Spannungsfeld von Politik und Recht
Festzuhalten gilt es zunä chst einmal weitgehend Unbestrittenes: Die Rechtsordnung im Allgemeinen und das Recht im Besonderen sind aus dem Blickwinkel der Politikwissenschaft Teile der empirisch erfassbaren gesellschaftlichen Realitä ten. Die Politik sowie die Rechtsordnung interagieren dabei in einem engen Verhä ltnis der Reziprozitä t. So wie die Rechtsordnung ü ber einen groß en Fundus an politischen Ordnungsvorstellungen verfü gt und der Politik fü r ihr Handeln Handlungsspielrä ume vorgibt, so wirken sich politische Handlungen direkt oder aber auch indirekt auf das rechtliche Normengefü ge aus. Das Zusammenspiel von Politik und Recht basiert dabei auf historischen, theoretischen, philosophischen und soziologischen Grundlagen des Rechts. Insbesondere der Akt der Rechtsgenese sowie die allgemeine Bedeutung von Verfassungen fü r das postmoderne Staats-und Rechtsverstä ndnis einerseits als auch fü r die politische Systemlehre andererseits mü ssen in einem solchen Kontext nä her thematisiert werden.
Fü r eine genaue Analyse des Verhä ltnisses von Politik und Recht mü ssen daher zunä chst einmal die realen Machtverhä ltnisse in einem Staat geklä rt werden. Solange der Ausü bung staatlicher Herrschaft keine rechtlich statuierten Schranken wie beispielsweise durch ein etabliertes Grundrechtsregime gesetzt sind, kö nnen auch keine Konfliktlinien zwischen Politik und Recht entstehen, denn das Recht in autoritä ren Systemen ist der Politik ja zwingend untergeordnet und immer vom Willen der herrschenden Eliten abhä ngig.
Fü r das heutige demokratische Politik-wie auch Rechtsverstä ndnis in demokratischen Verfassungsstaaten erscheint es demgegenü ber ganz und gar selbstverstä ndlich zu sein, dass sowohl Politik als auch Recht in einer stä ndig interdependenten Wechselbeziehung zueinander stehen. Zwischen Politik und Recht existiert jedoch nicht nur die bereits weiter oben beschriebene intensive Wechselbeziehung, sondern auch ein evidentes Spannungsverhä ltnis, welches im Rahmen demokratischer Verfassungsstaaten nach Ausgleichstendenzen sucht und diese auch vehement einfordert.4 Dieses Spannungsverhä ltnis zwischen Politik und Recht manifestiert sich von Zeit zu Zeit in zwei oftmalig kolportierten und plakativen Vorwü rfen.
Dabei geht es stark abstrahierend um unzulä ssige Beeinflussungen einer Staatsgewalt durch die jeweilig andere. Im wissenschaftlichen Diskurs werden diese beiden staatlichen Konfliktszenarien prä gnant auch als "Politisierung der Justiz" einerseits und "Juridifizierung der Politik" andererseits zusammengefasst. Wä hrend Erstere zunä chst immer dann vermutet wird, wenn seitens der Politik der Versuch unternommen wird, in verfassungsrechtlich statuierte Garantien sowie in die rechtliche Unabhä ngigkeit von Institutionen der Rechtsprechung einzudringen, wird auf der anderen Seite vor allem der Verfassungsgerichtsbarkeit vorgeworfen, dass diese legislative Gesetzesmä ngel gerne durch extensive Verfassungs-bzw. Grundrechtsinterpretation zu korrigieren versucht, um mit ihren Judikaten gelegentlich fehlenden politischen Entscheidungswillen zu kompensieren.5, 6
Ein finales Ziel eines politischen Prozesses ist aber schließ lich darin gelegen, die Auffassungen der politischen Majoritä t (natü rlich mit den gebotenen Einschrä nkungen) in allseits verbindliche Rechtsnormen zu transformieren. Recht soll dabei den Normunterworfenen Klarheit ü ber staatlich intendierte Antworten auf Lebenssachverhalte vermitteln. Diese deterministische und konkretisierende Festlegung des politischen Prozesses in einer Rechtsnorm bewahrt die Politik auch regelmäß ig vor einer sonst drohenden Ü berfrachtung ihrer Lö sungskapazitä ten innerhalb eines politischen Systems. Insofern stellt das Recht eine Art Entlastungsventil fü r die Politik dar, die sich nach dem Normwerdungsprozess wiederum anderen problembehafteten gesellschaftspolitischen Themen und deren Problemlö sungen widmen kann. Demzufolge stellt das Recht-trotz aller bisher aufgezeigten Unterschiedlichkeit-in letzter Konsequenz nichts Gegensä tzliches zur Politik dar. Sie ist, wie Dieter Grimm einst meinte, das Gleiche, allerdings nur in einem anderen Aggregatzustand: "Recht ist geronnene Politik" (Grimm 1969, 502).
Insofern sind folgend einige wichtige gesellschaftspolitische Funktionen des Rechts anzufü hren, die im Sinne einer allgemeinen politikwissenschaftlichen Debatte operationalisierbar gemacht werden kö nnen. Die gesellschaftlichen Funktionen, also die Aufgaben, die das Recht innerhalb gesellschaftlicher Entitä ten einzunehmen vermag, werden oftmalig als selbstverstä ndlich und daher als nicht weiter untersuchungswü rdig abgetan. Es sind aber genau diese vom Recht ü bernommenen Aufgaben fü r die Gesellschaft, die das Recht fü r die Politikwissenschaft so interessant und auch erst relevant werden lassen (Kausch 1985, 20):
* Sicherung des inneren Friedens: Zur Vermeidung von gewaltsamen Auseinandersetzungen bietet das Recht in compensando geregelte Verfahren, die auch der Konfliktvermeidung dienen sollen. Unter Vorwegnahme mö glicher Konfliktsituationen wird danach getrachtet, durch das Recht ex ante soziale Interessengegensä tze zu regeln.
* Freiheitssicherung: Das Recht schü tzt Individuen vor Ü bergriffen anderer in ihren durch Grundrechte garantierten Freiheitssphä ren. Das Recht gewä hrt hierbei auch einen effektiven Schutz vor Eingriffen des Staates.
* Gewä hrleistung rechtlicher Gleichheit: Die Gewä hrleistung rechtlicher Gleichheit stellt eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtsordnung dar. Gleichheit wird vom Recht schon dahingehend vermittelt, dass es in Form und Diktion allgemein formuliert ist.
* Steuerung gesellschaftlicher Prozesse: Dem Recht ist jedoch nicht nur eine schü tzende, sondern auch eine gestalterische Komponente inhä rent. Planende Steuerung durch Eingriffe des Staates in Bereiche, welche frü her der Selbstregulierung ü berlassen waren, basieren beispielsweise auf der Begrenztheit grundlegender gesellschaftlicher Ressourcen sowie der Gefahren, die durch neuartige Technologien ausgehen, und sollen hierbei den sozial Schwä cheren schü tzen und ihn gleichzeitig nachhaltig fö rdern.
* Sozialer Ausgleich und soziale Sicherung: Der moderne Staat entwickelte sich im Laufe seiner Genese zum sozialen Wohlfahrtsstaat. Der Macht der ö konomischen Verhä ltnisse soll dabei durch rechtliche Regelungen, wie Arbeitsschutzgesetzgebung, Mieterschutzbestimmungen oder die Familienfö rderung begegnet werden.
3. Das Recht als politikwissenschaftlicher Forschungsgegenstand
Die Frage nach den politikwissenschaftlichen Implikationen des Rechts scheint ein nahezu ebenso schwieriges Unterfangen zu sein, wie das Unterfangen, einen tauglichen Definitionsversuch der Begrifflichkeit des Rechts zu formulieren. Unter einer Rechtsordnung versteht man zunä chst einmal eine ä uß erst willkü rlich anmutende Ansammlung von inhaltlich unterschiedlichsten Normen, die allesamt aus einem durch das Recht statuierten Prozess hervorgegangen sind, der innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung als autoritativ anerkannt wird und daher fü r sich die Befolgung durch die Normadressaten reklamiert. Das Recht-und das wird vielfach vor allem innerhalb des rechtswissenschaftlichen Diskurses verkannt-dient dabei jedoch keinem Selbstzweck. Seine Funktion wie auch seine Qualitä t manifestiert sich regelmäß ig darin, wie flexibel es sich verä ndernden Lebenssachverhalten und dadurch wandelnden Gegebenheiten anpassen kann.
Macht man sich folglich daran, den sozialwissenschaftlichen Gehalt des Rechts beschreiben zu wollen, so kö nnte man es zunä chst mit dem Antwortcharakter auf gesellschaftliche Frage-und Problemstellungen versuchen, die mö glichst adä quaten und von den Normunterworfenen akzeptierten Lö sungen zugefü hrt werden sollen. Rechtsnormen sind aber daneben auch andere subliminale Wertvorstellungen inhä rent, wie Ideologie, Sitte, Moral oder Gerechtigkeit, wobei gerade Letztere aktuell in den tagespolitischen Debatten omniprä sent erscheint. Fragen der Gerechtigkeit zielen ihrem Wesen nach auch immer auf den Ausgleich innergesellschaftlicher Interessenlagen, was diese auch zu einer Angelegenheit des Prozesses der Rechtserzeugung und somit auch des diesen begleitenden politischen Diskurses macht.7
Heutzutage lä sst sich aufgrund der voranschreitenden Verrechtlichungstendenzen8 eine zunehmende Verselbststä ndigung des Rechtsbetriebs und ihrer akademischen Wissenschaften keinesfalls von der Hand weisen. Dieser Umstand in Kombination mit der Tatsache, dass die junge Schwesterdisziplin Politikwissenschaft in ihrem Streben nach Eigenstä ndigkeit und Emanzipation von der Rechtswissenschaft fü r sich selbst einen hiezu mö glichst differenten Zugang wä hlte, fü hrten zwangslä ufig dazu, dass sich aus der Perspektive der Wissenschaft das Recht und die Rechtswissenschaft vom politischen genealogischen Ursprungsakt in zunehmendem Maß e gelö st haben.
Aus der Perspektive der Politikwissenschaft lä sst sich das Recht in die von der Rechtstheorie beeinflussten Funktionskategorien der Prinzipien und Regeln unterteilen. Wä hrend Regeln verhaltensindizierend bestimmen, dass beim Eintritt bestimmter Tatbestandmerkmale quasi mechanisch bestimmte Rechtsfolgen zur Anwendung gelangen, reprä sentieren Prinzipien allgemeine Grundsä tze, welche auch konfligieren kö nnen (Becker/Zimmerling 2006, 19; Hart 1994). Gerade im Umgang mit den letztgenannten Prinzipien werden von der Rechtswissenschaft immanente Forschungslü cken hinterlassen und dies sollte fü r andere Teile der sozialwissenschaftlichen Forschung, in concreto fü r die Politikwissenschaft, als Verpflichtung und Chance gleichermaß en verstanden werden, sich selbst ein neuartiges, transdisziplinä res Aufgabengebiet zu erschließ en.
Gerade das Verfassungsrecht, als wohl politischste aller Rechtsformen, bietet fü r die Politikwissenschaft eine probate Ausgangslage zum besseren Verstä ndnis der politischen Prozesse und Handlungsablä ufe. Deren Kenntnis sowie eine historische, theoretische und methodische Reflexion sind unabdingbare Grundvoraussetzungen jeder politikwissenschaftlichen Debatte und sollten daher folgerichtig zu den Eckpfeilern eines jeden politikwissenschaftlichen Studiums zä hlen. Verfassungen, die oftmals auch gewisse ideologische Leitideen reprä sentieren, sollte bei der Analyse intrasystematischer politischer Ordnungsprobleme somit Beachtung geschenkt werden.9 Ü berblicksartige Kenntnisse des ö ffentlichen Rechts, das Wissen um Staatszielbestimmungen und die wichtigsten politischen Grundrechte, der grobe Aufbau der Staatsstruktur, die wichtigsten Kompetenzen der Staatsorgane, die Logik des GesetzgebungsVerfahrens, die Kompetenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie grundlegende Thesen wichtiger Rechtstheoretiker sollten zu den grundlegenden Handwerkzeugen einer jeden Politologin bzw. eines jeden Politologen gehö ren. Die Kompetenzen brauchen sich dabei nicht in der Aneignung schwieriger diffiziler und dogmatisch anmutender Arbeitsmethodiken erstrecken. In einem interdisziplinä ren Grundlagenfach "Politik und Recht" gilt es, insbesondere das Hauptaugenmerk auf die Entwicklungsund Verä nderungstendenzen sowie die gesellschaftlichen, strukturellen und ideologischen Zusammenhä nge zu legen. Dieses Hauptbetä tigungsfeld offeriert fü r die Politikwissenschaft abseits typischer alltagsjuristischer Fragestellungen (wie man etwa bestmö glich und effizient Bescheide im Verwaltungsstrafrecht bekä mpft oder mö glichst trickreich Verträ ge gestaltet) zahlreiche Bewä hrungsmö glichkeiten. Die Methodiken der Subsumtion sowie der Interpretation kö nnen ruhigen Gewissens der rechtswissenschaftlichen Forschung ü berlassen bleiben. Nur sollte man sich vergegenwä rtigen, dass nahezu jede politikwissenschaftliche Problemstellung auch in rechtliche Rahmenbedingungen eingebettet ist, die bei einer allumfassenden Analyse stets mitberü cksichtigt werden sollten. 10
Tamara Ehs (201 la, 197) hat wichtige und grundsä tzliche Fragen gestellt, die-so sie einer allumfassenden sozialwissenschaftlichen Betrachtung zugefü hrt werden sollen-nach einer interdisziplinä ren Beantwortung verlangt hä tten. Ich mö chte die von ihr ebendort initiierte Debatte weiterfü hren und anhand von drei Beispielen-neben der bereits oben erwä hnten Verfassungsanalyse-in gebotener Kü rze mö gliche Inhalte eines interdisziplinä ren Forschungsgebietes "Politik und Recht" aufzeigen:
* Demokratieanalyse: Die eben angedeuteten Konfliktlinien innerhalb von Verfassungs strukturen wirken sich nolens volens auf das allgemeine gesellschaftliche Demokratieverstä ndnis aus. Das Kontextualsieren von unterschiedlichen demokratiepolitischen Traditionen und deren Umgang mit fundamentalen Konflikten innerhalb politischer und rechtlicher Entscheidungsprozesse kann regelmäß ig nur dann gelingen, wenn Inhalt und Bedeutung verfassungs- rechtlicher Normen bekannt sind und dafü r eingesetzt werden, um einerseits die politikwis-senschaftliche Urteilskraft schä rfen und andererseits wichtige Diskursimpulse fü r die poli-tische Entscheidungsfindung setzen zu kö nnen.
*Gesetzesfolgenabschä tzung: Die ü berwiegende Mehrzahl der Gesetze ist auf eine mö glichst langfristige Anwendung ausgelegt. Die Methodik der Gesetzesfolgenabschä tzung rü ckt die Berü cksichtigung mittel-und langfristiger Folgen der Rechtssetzungsprozesse in den Inte-ressenfokus. Denn der Prozess der Gesetzgebung darf keinesfalls "nur in Legislaturperioden denken und nicht nur auf kurzfristige Beseitigung anstehender Problemlagen ausgerichtet sein" (Schä ffer 2005, 11). Diese Methodik, die logisch wie auch chronologisch zwischen Politik und Recht verortet ist, sollte den (oftmals nur kurzlebigen) politischen Diskurs be-gleiten und zur besseren Orientierung der Normunterworfenen beitragen.
*Internationale Dimension: Relevante Fragestellungen zwischen Politik und Recht lassen sich selbstverstä ndlich nicht nur auf einzelne Nationalstaaten reduzieren; es ist diesen zweifels-ohne auch eine internationale Dimension inhä rent. Die in diversen rechtlichen Rahmenbe-dingungen des Vö lkerrechts eingebetteten internationalen Organisationen und deren-zuge-gebenermaß en nicht so bindende-Relation zur Norm haben deren Verhä ltnis zu Macht, Staat und Wirtschaft zu klä ren, wobei dabei das Recht sicherlich eine geringere Bedeutung einnimmt als auf der Ebene des Nationalstaates, jedoch auch nicht von einem uneingeschrä nk-tem Primat von hegemonialer Internationaler Politik gesprochen werden kann.
All diese andiskutierten Themenkomplexe werden selbstredend bereits jetzt von Forschungsar-beiten der (ö sterreichischen) Politikwissenschaft behandelt. Bei genauerer Sichtung fehlt bei den meisten politikwissenschaftlichen Herangehensweisen an solche Thematiken gerade eine tiefer gehende normativ-rechtliche Dimension, die jedoch fü r die allumfassende Beantwortung aufge-worfener Forschungsfragen notwendig wä re.
Wird die Beschä ftigung mit verfassungsrechtlichen Normen im Rahmen der Politikwissen-schaft bisweilen noch als Pflichtü bung absolviert, so fehlt eine profunde und systematisch ganz-heitliche Analyse politisch-administrativer Strukturen und Prozesse auf den verschiedensten Systemebenen zumeist gä nzlich. 11 Das Verstä ndnis rund um Politik und Verwaltung, die in Ö s-terreich bekanntermaß en nur im Sinne des in Art. 18 B-VG determinierten Legalitä tsprinzip ausgeü bt werden darf (Ö hlinger 2010, 162), wü rde die in Demokratien so unerlä ssliche Traditi-on des Verwaltungsdenkens mit politikwissenschaftlichen Problemstellungen verbinden und die fü r die Formulierung von Handlungsempfehlungen so notwendige Sach-, Methoden-und The-oriekenntnisse zur Verfü gung stellen.
4. Ein Plä doyer zur studienplantechnischen (Re-)Etablierung der politologischen Teildisziplin "Politik und Recht"
Was kö nnen nunmehr Inhalte eines politologischen Studienfaches von "Politik und Recht" sein? Was muss dieses idealerweise leisten, um fü r unsere Disziplin Chancen und Nutzen zu generie-ren? In einem akademischen Fach "Politik und Recht" gilt es, ganz besonderes Augenmerk auf Zusammenhä nge der Rechtsordnung mit politischen und gesellschaftlichen Verhä ltnissen zu legen. Kurzum, es gilt, das Phä nomen des Rechts in diesem Sinne neu zu deuten und damit dessen Relevanz fü r ein Studienfach der Politikwissenschaft mit den politikwissenschaftlichen Methoden fein sä uberlich herauszuarbeiten.
Denn das Studium der Rechtswissenschaft forciert insbesondere das Erlernen von Rechts-kenntnis sowie von rudimentä ren rechtsdogmatischen Werkzeugen, wä hrend andere Rechtsfä cher wie beispielsweise Rechtstheorie, Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie oder auch Rechtssozio-logie, die zu einer kritischen Reflexion von Recht beitragen wü rden, in der juristischen Ausbildung zunehmend in den Hintergrund gedrä ngt werden. Den Studierenden der Politikwissenschaft hingegen ermangelt es bereits an rudimentä ren Grundkenntnissen der staatlichen Rechtsordnung. Das Studienfach "Politik und Recht" sollte daher methodische Inhalte sozialwissenschaftlicher Forschung ebenso zum Inhalt haben wie zentrale verfassungsrechtliche Grundlagen.
Die studienplantechnische Verortung bzw. eine innercurriculare Forcierung der politologi-schen Teildisziplin "Politik und Recht" in den Studienplan der Politikwissenschaft an der Uni-versitä t Wien soll erste Mö glichkeitsrä ume einer solchen Analyse des komplexen Zusammenspiels nationaler wie internationaler politischer und rechtlicher Strukturen sowie deren Verä nderungen und ihrer gesellschaftlichen (Rü ck-) Wirkungen und Konsequenzen skizzieren und einen notwen-digen Nachdenkprozess ü ber das Zusammenwirken von politischen Prozessen mit den sie ord-nenden rechtlichen Normstrukturen initiieren. Durch die methodische Vermittlung komparativer Systemanalysen sollen den Studierenden u.a. Entwicklungsprozesse demokratischer Verfassungs-staaten ebenso wie die transetatistische politische Verfasstheit internationaler Institutionen und Regime nä hergebracht werden.
Was sind nunmehr weitere wü nschenswerte Zieldeterminanten? Was kann die Gesellschaft, der Arbeitsmarkt, aber auch-und das sollte stets die wichtigste Triebfeder bei der kontinuierli-chen Verbesserung unseres Faches sein-die Politikwissenschaft selbst, von ihren Absolventin-nen und Absolventen erwarten dü rfen, damit diese in verschiedensten Berufsfeldern reü ssieren kö nnen? Positionen im tertiä ren Bildungsgefü ge sind, wie Thomas Kö nig (2011, 82) es bereits in seinem Beitrag angedeutet hat, knapp, weshalb sich unsere Disziplin auch der oftmalig ver-schmä hten Debatte in Richtung einer verstä rkten Berufsorientierung (Stichwort: employability-vgl. Fach 2012) nicht verschließ en sollte.
Die in diesem Beitrag postulierten Erweiterungen des politikwissenschaftlichen Studiums wü rden die Absolventinnen und Absolventen der Politikwissenschaft durch eine vertiefende Konfrontation mit der breiten Thematik rund um "Politik und Recht" auch und primä r fü r auß erwissenschaftliche Arbeitsfelder qualifizieren und die Mö glichkeit schaffen, das in manchen Teilen der ö ffentlichen Verwaltung lange Zeit vorherrschende und auch zu Recht beklagte Juris-tenmonopol noch weiter aufzuweichen. So wü rde eine fundierte Vertrautheit mit dem hier pro-pagierten Teilforschungsgegenstand sicherlich durchaus hilfreich sein, die Tü ren in Stabs-und Grundsatzabteilungen von Institutionen, insbesondere in Verwaltungs-und anderen politiknah agierenden Organisationen, weiter zu ö ffnen.
Stellen in den Bereichen der Erwachsenenfortbildung, der ö ffentlichen Verwaltung, von politischen Organisationen, bei Medien, aber auch bei Wirtschaftsunternehmungen verlangen allerdings Qualifikationen, die eine forcierte integrative Auseinandersetzung der Politikwissen-schaft mit dem Phä nomen des Rechts als unerlä sslich darstellen. Und hier schließ t sich der Gedankenkreis zum Beginn dieses Diskussionsbeitrages. Denn das Recht ist nun mal das augen-scheinlichste Produkt des politischen Prozesses. Es fungiert in diesem Kontext als Handlungs-instrumentarium der politischen Exekutive und erhä lt durch seine regulativen Aufgaben gesell-schaftspolitische Implikationen zugewiesen.
Mag es also durchaus sein, dass durch die Genese der politikwissenschaftlichen Teildiszi-plin Abgrenzungen zur Rechtswissenschaft vehement gesucht und in weiterer Folge auch gefun-den wurden; mag auch sein, dass es der Rechtswissenschaft weitgehend gelungen ist, ihren he- gemonialen Analyseanspruch auf den Forschungsgegenstand des Rechtes zu verteidigen. All dies sind jedoch keine probaten Argumente, um das vorhandene Defizit vonseiten der Politikwissen-schaft nicht kompensieren zu wollen.
Das hier vertretene Verstä ndnis von "Politik und Recht" hat demnach nicht nur offenkun-dige Berü hrungspunkte mit der Rechtswissenschaft, sondern ist auch innerhalb der Politikwis-senschaft als innerdisziplinä re Querschnittsmaterie zu charakterisieren. Eine befruchtende und stimulierende Konkurrenz, die nicht von einem Verhä ltnis der Ü ber-und Unterordnung, sondern vielmehr von dem offenen Verstä ndnis eines Nebeneinanders der beiden der Sozialwissenschaft zuzuordnenden Disziplinen, der Rechts-und Politikwissenschaft, getragen wird, erscheint nicht nur notwendig, sondern auch zielfü hrend zu sein. Eine ambitionierte methodische Akzentuierung dieses Forschungsansatzes in nahezu sä mtlichen Politikfeldern wü rde eine weitere wichtige Perspektive offerieren und hiermit letztlich unsere Disziplin, die Politikwissenschaft, um eine wertvolle und beachtenswerte Facette bereichern.
Nachdem im Rahmen dieses Textes so manch kritische Worte ü ber die fehlende Permeabi-litä t der rechts-und politikwissenschaftlichen Forschung formuliert wurden, soll abschließ end auf rezente Publikationen zum Thema (Ehs/Gschiel/Ucakar/Welan 2012 sowie Gschiel 2013) hingewiesen werden. Diese Publikationen verstehen sich als Ausgangspunkte fü r weitere Debat-ten und sollen innerhalb der Politikwissenschaft ein Bewusstsein fü r die Notwendigkeit einer grü ndlicheren Auseinandersetzung mit rechtspolitischen Fragestellungen schaffen und gleich-zeitig zu einer vertiefenden, aber auch differenzierten Auseinandersetzung mit rechtspolitischen Fragestellungen einladen. Eine Intensivierung der politikwissenschaftlichen Debatte wä re jeden-falls nicht nur ein potenzieller Gewinn fü r die Studierenden, sondern wü rde auch die innerwis-senschaftliche Reflexion stimulieren und der Politikwissenschaft neue Forschungsspielrä ume erö ffnen. Denn es existiert kein unpolitisches Recht. Das Verstehen von Politik setzt immer auch das Verstehen seiner rechtlichen Grundlagen voraus. Das Recht ist nun mal eine wesentliche (wenn auch nicht die ausschließ liche) Grundlage des politischen Handelns.
ANMERKUNGEN
1 Zu den Standardwerken zä hlen u.a. Whittington 2008 oder das vierteljä hrlich erscheinende Journal Law and Policy.
2 Als Gegenbeispiel sei auf einen Beitrag von Uwe Wagschal (2006) hingewiesen.
3 Diese Selbstfokussierung beider Wissenschaftsrichtungen ist natü rlich auch hierzulande keine idealtypische. Eine erwä hnenswerte Vorreiterrolle nimmt in diesem Zusammenhang das Institut fü r ö ffentliches Recht der Karl-Franzens-Universitä t Graz ein, das u.a. den fakultä tsü bergreifenden Wahlfachschwerpunkt "Politikwissenschaft-Politische Bildung" anbietet.
4 Zu der Thematik interdisziplinä rer Gemeinsamkeiten zwischen der Politik-und Rechtswissenschaft sei auf einen lesenswerten Beitrag von Thomas Heller (2003) verwiesen.
5 Beiderseits schieben aber zumeist verfassungsrechtliche Schranken tendenziö sen Ambitionen den Riegel vor. So ist beispielsweise die absolute Unabhä ngigkeit der Gerichtsbarkeit verfassungsrechü ich garantiert (vgl. hiezu Art. 87 Abs. 1 B-VG). In den seltensten Fä llen kommt es zu einer Eskalation dieser Konfliktlinien zwischen den Staatsge-walten. Zumeist wird aber schon im Vorfeld versucht, kalmierend zu wirken. Ein Beispiel fü r die Praxis der prä ven-tiven Konfliktvermeidung bildet das aus dem amerikanischen Rechtsdenken entlehnte Prinzip des judicial self res-traint. Verfassungsgerichtliche Erkenntnisse zeitigen nä mlich oft erhebliche politische Auswirkungen, obwohl sie selbst keine politischen Ambitionen verfolgen. Dabei wird von manchen politischen Akteuren beflissentlich ü ber-sehen, dass Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes nicht so sehr darü ber befinden sollen, ob eine Regelung zweckmäß ig und gerecht-also mit anderen Worten politisch klug, opportun oder sachlich gerechtfertigt-ist, sondern vielmehr darü ber geurteilt wird, ob sich die politische Entscheidung innerhalb der verfassungsmäß ig fest-gesetzten rechtlichen Ordnungsstruktur befindet. Ziel in einem demokratischen Rechtsstaat muss es sein, Politik und Recht nicht gegeneinander ausspielen zu wollen, sondern dadurch zu versö hnen, dass das Verfassungsrecht von der Politik geachtet wird; dieses aber wiederum den politischen Gestaltungsspielraum nicht allzu sehr einengt. Vgl. hiezu auch Ö hlinger (2010, 302).
6 Grundlegend zu der Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung vgl. Raiser (1985, 111-113). Lesenswert und auch neuere Tendenzen im europä ischen und US-amerikanischen Kontext berü cksichtigend wird der einfü hrende Beitrag ü ber die Rolle der Gerichtsbarkeit in den Governance-und Demokratietheorien von Rachel A. Cichovsky (2006) empfohlen.
7 Im Falle der Ausgestaltung von Normen kann es zu einem evidenten Zielkonflikt zwischen Gerechtigkeit und an-deren wü nschenswerten Idealen kommen. Wä re demnach in einem Strafverfahren die effektive Verfolgung von Straftaten die einzige Zieldeterminante, so mü sste dabei jedes nur erdenkliche Mittel erlaubt sein, um zu einer Ü berfü hrung des Tä ters zu gelangen. In Extremfä llen kö nnte man vermeinen, dass man zum Zwecke generalprä- ventiver Vorkehrungen sogar Unschuldige bestrafen oder foltern dü rfte, um andere von der Begehung von Straftaten abhalten zu kö nnen. Gerechtigkeit korrigiert dabei allzu ü berzogene Interessen, indem sie eine Zulä ssigkeitsein-schrä nkung der Beweismittel vorgibt und einen expliziten Schuldbeweis seitens der Anklagebehö rden verlangt; im Zweifel ist fü r den Angeklagten zu entscheiden (vgl. Fuchs/Ratz 2008, § 8 StPO).
8 Durch seine Anwendung und Auslegung durchdringt das Recht den gesellschaftlichen Alltag und bedingt dadurch die Verrechtlichung gesellschaftlicher Lebensrä ume. Vor dem Stadium der zunehmenden Verrechtlichung gesell-schaftlicher Prozesse war es die natü rliche bzw. die naturrechtliche Ordnung, welche der Politik Schranken setzte. Manche Autoren erblicken in der zunehmenden Intensivierung der Regelungsdichte auch eine veritable Rechtskrise. So schreibt etwa der teleologische Philosoph Paolo Prodi: "In dem Augenblick, da das positive Recht das gesamte soziale Leben normiert, indem es alle Aspekte des menschlichen Lebens durchdringt, die bis in unsere Zeit auf verschiedenen Normierungsebenen angesiedelt waren, verknö chert die Gesellschaft und zerstö rt sich selbst, weil sie sich jenen frischen Wind nimmt, der fü r ihr Ü berleben notwendig ist" (Prodi 2003, 11).
9 Die Analyse von Verfassungsfragen bildet hierzulande eindeutig eine Domä ne der arrivierten Verfassungsjuristinnen, die, so sie Verfassungsfragen in der Ö ffentlichkeit erö rtern sollen, in ihren Kommentaren politologische Fragestel-lungen mitberü cksichtigen, ohne dass dieser Umstand die Protagonistinnen der Politikwissenschaft zu tangieren scheint. Tamara Ehs spricht in diesem Kontext von einer "Selbstentmü ndigung der Politikwissenschafter" (Ehs 2011b, 5). Dies ist ü beraus bedauerlich, denn die Politikwissenschaft besitzt seit jeher eine evidente Tangente zum ö ffentlichen Recht, deren Chance sie aber nur in den seltensten Fä llen auszunutzen vermag. Die Politikwissenschaft kommt in der ö ffentlichen Wahrnehmung zu diesen Themenstellungen nicht vor. Die Politikwissenschaft wird seitens der medialen Berichterstattung immer wieder auf den schmalen politikwissenschaftlichen Teilbereich der Demos-kopie reduziert, abgesehen von ein paar versprengten Vertreterinnen, die dann und wann das Glü ck haben, dass ihre jeweiligen Forschungsschwerpunkte gerade in den konjunkturellen Fokus der medialen Aufmerksamkeit geraten sind.
10 Wü nschenswert wä re neben diesen Kenntnissen auch das Wissen rund um die wichtigsten Rechtsinstitute des Pri-vatrechts, wie Geschä ftsfä higkeit, Privatautonomie, Vertragsrecht, usw. Dies wü rde jedoch die durch die Einfü hrung des Bolognasystems bereits ohnehin ü berfrachteten Studienplä ne noch weiter ü berladen.
11 Eine erste richtungsweisende Abhandlung zu dieser Thematik hat unlä ngst Heinrich Neisser (2012) verfasst.
LITERATURVERZEICHNIS
Becker, Michael/Ruth Zimmerling (2006). Einleitung, in dies. (Hg.): Politik und Recht. Politische Vierteljahresschrift (PVS), Sonderheft 36/2006, Wiesbaden, 9-29.
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Stefan Gschiegl
Institut fü r Staatswissenschaft
Universitä t Wien
E-Mail: stefan. gschiegl@ univie. ac.at
AUTOR
Stefan GSCHIEGL, Studium der Wirtschafts-, Rechts-und Politikwissenschaft an der Universitä t Wien. Aktuell Lektor der Vorlesung und eines Seminars zu "Politik und Recht". Im Hauptberuf Mitglied der Abteilung Bankenrevision bei der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB).
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Abstract
Internationally, the research approach "Politics and Law" is an important element of the discipline political science. This text discusses the importance of law for understanding social structures and the difficulties of political science in Austria in dealing with law and its implications. It is examined what "Politics and Law", as a subfield of the discipline, may provide for research, and why students of political science should be taught in jurisprudential issues, and particularly constitutional law. [PUBLICATION ABSTRACT]
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