1. Einleitung: Technik, Alltag und Internet
Mit der Verbreitung neuer Technologien gehen immer auch utopische Vorstellungen uber die Veranderung der sozialen, politischen und okonomischen Verhaltnisse einher. Kritik und Begeisterung halten sich eine zeitlang die Waage. Diese Unabgeschlossenheit deutet darauf hin, dass die Technologie noch nicht institutionalisiert, d.h. noch nicht in das alltagliche Handeln "eingebaut" ist. Sozialwissenschaftlich formuliert mangelt es den Beteiligten an allgemein akzeptierten Regeln in einem alltagstauglichen Rahmen. Im Verstandnis der Techniksoziologie kann von einer Institutionalisierung gesprochen werden, wenn diese Umbruchsituation zum Abschluss gekommen ist. Erst dann zeigen sich neue, auf die Technik bezogene Handlungsroutinen. Eine Schwierigkeit ist der standige Veranderungsprozess, in dem die Technik selbst immer noch steht. Bei der Technik der Neuen Medien, die durch eine Nutzung des Internet ermoglicht wird, ist dieser Prozess also noch lange nicht abgeschlossen. Einerseits schreitet die Verbreitung der technischen Nutzung voran, andererseits gibt es immer noch wenig empirisch gesicherte Erkenntnisse uber die gesellschaftlichen Konsequenzen. [1]
An diesen Gedanken knupft die als Dissertation vorliegende Arbeit von Jan SCHMIDT an, indem sie zu einer "soziologisch fundierten Analyse zu den Auswirkungen des Internet" (S.10) beitragen will. Der Autor wahlt dabei das Verhaltnis des Internets zum Raum, spezifischer zum lokalen Raum, einer geographisch begrenzten und uberschaubaren Region. Dazu bewegt er sich von allgemeinen, soziologisch und medienwissenschaftlich gestutzten Reflexionen uber die mit dem Internet verbundenen Raumvorstellungen und die Nutzung im lokalen Nahraum (2. Kapitel) zur Entwicklung eines begrifflichen Bezugsrahmens des virtuellen lokalen Raums, der die Diskussion des aktuellen Forschungsstandes mit einbezieht (3. Kapitel). Daran schliesen vier empirische Fallstudien aus der Region Bamberg an, die im 4. Kapitel dargestellt werden. Im 5. Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und als Beleg fur die Grundthese der Gleichzeitigkeit von Ent- und Restrukturierungen im Raumkonzept des Internet interpretiert. [2]
2. Internet und Raum
Die Annahme vom Bedeutungsverlust des Raums im Internet ist von besonderer Attraktivitat, da sie Gesellschaftsutopien der Liberalisierung und des Widerstands gegen staatliche Herrschaft hervorzubringen vermag. Im Mittelpunkt steht dabei die Vorstellung von der Auflosung gesellschaftlicher Strukturen und dem Verlust staatlicher Kontrolle. Indes steht diese Entstrukturierungsthese in der Gefahr, einseitig technikdeterministisch bestimmt zu werden und damit wird ubersehen, dass die soziale Aneignung des Internet auch Restrukturierungstendenzen mit sich bringt. Dies versucht Jan SCHMIDT in einem ersten Schritt durch die Nachzeichnung der Geschichte des Internet aus der Sicht der Technikentwicklung mit ihren gesellschaftlichen Folgen aufzuzeigen. Das Internet wird als Sammelbegriff fur unterschiedliche Medien, die auf einer vernetzten Infrastruktur aufbauen, in einer klaren und detailreichen Ubersicht dargestellt. [3]
Aus soziologischer Perspektive wird die Bedeutung von Raum und Netzwerk als Strukturierungskonzepte fur alltagliches Erleben und Handeln erlautert. Dabei ist die Wiederentdeckung des Raumes und seine Interpretation als "Raum-Werdung" (MARESCH 2001), in der seine soziale Konstruktion oder mediale Produktion erkennbar wird, von zentraler Bedeutung. Insbesondere im Ruckgriff auf die Arbeiten von Martina LOW (2001, 2004) wird der Perspektivenwechsel vom absoluten zum relativen Raumverstandnis aufgezeigt. Wahrend der Raum nach dem absoluten Verstandnis eine eigene, von den Korpern unabhangige Realitat besitzt, wird er aus der relativen Perspektive durch die Verknupfung von Objekten erst konstituiert. Im ersten Fall sind Raum und soziales Handeln voneinander getrennt, im zweiten werden Struktur und Handeln in einer wechselseitigen Bedingtheit gesehen, d.h. der Raum restrukturiert sich im Handeln. Obwohl SCHMIDT der Raumsoziologie von Martina LOW einen zentralen Stellenwert fur seine eigene Arbeit einraumt, kommt die Rezeption der von ihr ausgearbeiteten zentralen Kategorien von Spacing, Syntheseleistung, Atmosphare und Orten etwas zu kurz, so dass die Anschlussstellen vage bleiben. [4]
Als zweiter theoretischer Ansatzpunkt wird das Netzwerk in seiner gesellschaftlichen und technischen Bedeutung - im Ruckgriff auf Manuel CASTELLS' "Information Age" u.a. - eingefuhrt. Die Auflosung der traditionellen Orte im planetaren "Raum der Strome" (CASTELLS 2003) und die Entstehung einer "Netzwerkgesellschaft" mit dem von CASTELLS prognostiziertem Gegensatz zwischen globalem Netz und personlicher Identitat (ASSHEUER & THADDEN 2001) entsprechen nicht der These von einer Erweiterung durch Restrukturierung. Zentral bleibt - ganz im Sinne des Autors - die Entstehung von Netzwerken und deren Einfluss auf die Okonomie und die Medien. Trotz der Unterschiede zwischen beiden theoretischen Zugangsweisen, die Jan SCHMIDT aufzeigt, ist ihnen der zentrale Stellenwert von Beziehungen zwischen Objekten gemeinsam: die Verknupfungen zwischen den Objekten bedingen, wenn sie uber einen langeren Zeitraum stabil bleiben und sich reproduzieren, eine Struktur. Wandeln sich die Verknupfungen, so lost sich auch die Struktur auf. Mit der Entstrukturierung geht auch eine erneute Festlegung und Stabilisierung einher (Restrukturierung), in der sich neue Verbindungen und Grenzziehungen etablieren. Auf dieser theoretischen Basis wird nunmehr der Ent- und Restrukturierungsprozess von Raumvorstellungen aufgenommen und anhand unterschiedlicher empirischer Materialien belegt. Diese Grunduberlegungen bezieht Jan SCHMIDT auf die Dimensionen von geographischen Distanzen und Standortbestimmungen (Kap. 2.3), die territorial-staatliche Kontrolle (Kap. 2.4) und den Cyberspace (Kap. 2.5). [5]
Geographische Distanzen verandern im Internet zwar ihre Bedeutung, aber sie verschwinden nicht einfach. Auf der Basis der technischen Infrastruktur des Internet sind sie immer noch prasent. Durch die besondere Art der Entwicklung von Verkabelung und Betreiberorganisationen, die von Jan SCHMIDT noch einmal kenntnisreich dargestellt wird, kommt es zu einer ungleichen Verteilung der globalen Infrastruktur: die Bedeutung spezifischer regionaler Standorte steigt und damit auch die Verdichtung der Aktivitaten an diesen Orten. Hier sind die Standorte wirtschaftlicher Aktivitaten als stadtische und regionale Raume sichtbar. Der Raum behalt insofern seine Bedeutung, da die Kommunikation im Internet auf der bestehenden geographischen Infrastruktur aufbaut und die raumliche Nahe weiterhin notwendig ist, um geteiltes Wissen und Sozialkapital herzustellen. [6]
Das Internet uberschreitet muhelos geographische und territoriale Grenzen und erscheint damit von staatlichen Gebieten legitimer Herrschaft losgelost. Diese Annahme nahrte in den fruhren Jahren des Internet die Idee einer neuen Gegenkultur, die Technikeuphorie mit Abnahme von Staatskontrolle kombinierte. Ubersehen wurde dabei, dass der Staat die Entwicklung des Internet entscheidend mitgepragt hat. Vor allem in drei Regulierungsfelder wird dies von Jan SCHMIDT aufgezeigt: Okonomie, Internetrecht und weitergehende Gestaltung der technischen Infrastruktur. Die staatsfreie Zone Internet erscheint dann bestenfalls als Idee einer normativen Position, der keine empirische Grundlage entspricht, und die auch als Metapher ihren Wert verliert. In einem Exkurs zur Geschichte des Adressraumes von vernetzten Computern wird die ungleiche geographische, regionale Verteilung des Internet aufgezeigt. Hier sind die Muster von Peripherie und Zentrum wieder zu finden, die in der Struktur der Datenverbindung bereits angelegt sind. [7]
Im dritten Abschnitt des zweiten Kapitels geht der Autor der Frage nach der angeblichen Korperlosigkeit im Cyberspace nach. Das Internet kann als Folie einer virtuellen Realitat gelten, in der keine raumlichen oder korperlichen Beschrankungen fur das menschliche Erleben mehr gelten. Jan SCHMIDT zeigt demgegenuber auf, das auch in virtuellen Umgebungen das Interesse an eigenen Identitaten, am personlichen Status und den damit einhergehenden Erwartungen bestehen bleibt. Auch virtuelle Welten werden in einem dreidimensionalen Aufbau dargestellt, obwohl technisch die Konstituierung von Umgebungen moglich ware, in denen keine physikalischen Regeln gelten. Doch ohne die Referenzen an die raum- und korpergebundene reale Welt ware eine Orientierung so gut wie unmoglich. Der Korper bleibt somit als kleinste, unteilbare und nicht hintergehbare Einheit unverstandlich menschlichen Handelns im Raum verortet. Symbol, Handlung und Territorium sind die drei Bezuggrosen, in denen sich der virtuelle lokale Raum konstituiert. [8]
Die Raumlosigkeitsthese enthalt den Fehler, zu einseitig aus den Eigenschaften der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die sozialen Konsequenzen zu schliesen. Mit ihr wird auf einem Raumverstandnis beharrt, in dem der Raum einen blosen Container fur soziales Handeln darstellt, und es werden so die spezifischen Nutzungskontexte ubersehen, nach denen Technik in den Dienst der sozial Handelnden gestellt wird. Deren soziale Aneignung von Informations- und Kommunikationstechnologien wird im weiteren Verlauf der Arbeit am Beispiel des virtuellen Raums untersucht, um "uberindividuelle Regeln und Beziehungsmuster" (S.88) in dieser besonderen Interaktion zwischen Technik und Mensch darzustellen. [9]
3. Der virtuelle lokale Raum
Im dritten Kapitel wird das Internet als Hybridmedium (HOFLICH 1998, 2003) expliziert, in dem sich Information und Kommunikation auf der Grundlage der neuen Technologien mit dem sozialen Handeln der Menschen in lokalen Regionen vermischen. Der Bezug auf die lokale Region erweist sich als Vorteil, da die erlebte gesellschaftliche Komplexitat durch den Aufbau interpersonaler Netzwerke reduziert wird. Das soziale Kapital (Pierre BOURDIEU) dieser Netzwerke kann durch das Medium Internet ausgebaut werden. Jan SCHMIDT beschreibt, wie in offeneren Netzwerken virtuelle Gemeinschaften entstehen, die sich in betriebswirtschaftlicher (communities of practice and knowledge), sozialpsychologischer (Online-Selbsthilfegruppen) und kommunikationswissenschaftlicher (Interpretationsgemeinschaften) Perspektive ausdifferenzieren. Von einer sozialen Isolation oder dem Verlust von sozialen Beziehungen im Internet kann demnach keine Rede sein. [10]
In der Skizze eines Analyserahmens entwickelt der Autor eine kategoriale Bestimmung fur den virtuellen lokalen Raum. Demnach stellt dieser eine Klasse von Umgebungen dar, die einen hohen Symbol- und Handlungsbezug zum realen Raum haben und deren territorialer Bezug eher kleinraumig ist. Der virtuelle lokale Raum ist nach diesem Verstandnis zu unterteilen in einen politisch-administrativen Raum (E-Governement), einen wirtschaftlichen Aktivitatsraum (E-Commerce) und einen Identitatsraum (E-Democracy), denen unterschiedliche Angebotstypen im Internet entsprechen: Kommunalportale, lokale Marktplatze, Online-Tageszeitungen aus der Region und Burgernetze (Community Networks). Das Nutzungsverhalten in virtuellen Raumen ist anhand der Nutzungsepisoden in drei Ziele zu unterscheiden: Information, Transaktion und Kommunikation. Die vereinzelten Nutzungsepisoden konnen sich zu Handlungsroutinen verdichten, die als institutionalisierte Nutzungsmuster in einem "Computerrahmen" zu beschreiben sind. Der Begriff Computerrahmen ist an die "Rahmenanalyse" von Erving GOFFMAN angelehnt und definiert eine Situation, in der bestimmte Handlungen nahe gelegt sind und in einen Sinnkontext eingeordnet werden. Zu einem Rahmen muss also die Rahmung mit den eigenen sowie den Erwartungen der anderen Teilnehmenden mitgedacht werden. [11]
Der virtuelle lokale Raum konstituiert sich in diesem Grundverstandnis durch das Handeln der Nutzenden und Anbieter gleichermasen. Die zustande kommenden wechselseitigen Erwartungen lassen die einzelnen Nutzungsepisoden vorhersagbar werden und zu Routinen stabilisieren. Uberindividuelle Ahnlichkeiten finden sich in einem Computerrahmen wieder, der sich auf der Nutzungsseite herauskristallisiert und in entsprechenden Angeboten institutionalisiert. Deutlich wird auf der Angebotsseite des E-Commerce und E-Government eine zunehmende Professionalisierung und Spezialisierung in den Angebotsstrukturen. Leider werden Online-Selbsthilfegruppen, die wohl dem Identitatsraum zuzuordnen waren, von SCHMIDT nicht mehr aufgegriffen. Ebenso bleiben Angebote aus dem Bildungsbereich, die an der Schnittstelle von Identitats- und wirtschaftlichem Aktivitatsraum zu bestimmen waren, im weiteren Verlauf der Arbeit unerwahnt. Auf die Interpretationsgemeinschaften wird im Zusammenhang mit E-Democracy und der Praxis von lokalen Burgernetzen eingegangen. In einem gesonderten Kapitel (Kap. 3.3) expliziert Jan SCHMIDT die unterschiedlichen methodischen Zugangsweisen zur Datenerhebung im Internet. Reaktive (Befragungen, Online-basierte Fragebogen) und nicht-reaktive (User-Tracking, Analyse der Logdateien usw.) Verfahren werden einander gegenubergestellt und die Vor- und Nachteile werden herausgearbeitet. Obwohl die Erkenntnismoglichkeiten als eingeschrankt beschrieben werden, ist dem Fazit zuzustimmen, dass das Internet als Instrument der sozialwissenschaftlichen Datenerhebung anerkannt ist. Neben der von SCHMIDT angefuhrten Literatur und den Internet-Portalen http://www.globalpark.de/ und http://www.online-forschung.de/ sei hier noch auf WebSM (Web Survey Methodology) verwiesen, auf Bernard BATINIC (2003, S.6-18) sowie auf Manuela POTSCHKE und Julia SIMONSON (2001), die die Einschrankungen von Online-Erhebungen ausfuhrlicher diskutieren. [12]
Die drei identifizierten Dimensionen des virtuellen lokalen Raums (E-Government, E-Democracy und E-Commerce) lassen sich nun noch weiter bestimmen. Die E-Government-Angebote von stadtischen Verwaltungen und Kommunen verandern sich zu umfassenden Kommunalportalen. Die kommunalen Verwaltungen sind jedoch auf eine Zusammenarbeit mit regionalen Partnern (Vereine, Bildungseinrichtungen, Handel und Gewerbe usw.) angewiesen, um ihr Angebot attraktiv und aktuell zu halten. Dadurch treten sie in Konkurrenz zu anderen Anbietern aus der Region, beispielsweise Online-Zeitungen oder lokale Marktplatze. Wie und zu wessen Gunsten diese Konkurrenz sich weiterentwickeln wird, wird von den finanziellen Ressourcen und dem Nutzungsverhalten abhangen. [13]
Die Idee einer sich entwickelnden E-Democracy beinhaltet auch die Frage nach dem demokratischen Potenzial. Jan SCHMIDT stellt fest, dass dieses Potenzial in den im Internet betriebenen Diskussionsforen erheblich reduziert ist und beispielsweise den Kriterien einer herrschaftsfreien Kommunikation (Jurgen HABERMAS) nicht standhalten kann. Die Forderung nach Offenheit der Diskurse und Gleichheit der aktiven Sprechenden wird kaum eingeholt. Auserdem konnen die bestehenden sozialen Unterschiede durch den Zugang zur Technik noch vergrosert werden. Die angebotenen Diskussionsforen sind - so SCHMIDT - zu wenig in den relevanten kommunalen Entscheidungsstrukturen verankert, um das demokratische Potenzial entsprechend zu entfalten. Die zukunftige Entwicklung kann zu Recht mit gebremstem Optimismus gesehen werden. [14]
Anders sieht es SCHMIDT zufolge im Wirtschaftbereich aus, wo E-Commerce etabliert ist. Insbesondere in den Bereichen Touristik, Bekleidung, Computer und Zubehor sind Online-Kauforte entstanden, die ausgiebig genutzt werden. Daneben existieren auch so genannte virtuelle Marktplatze, in denen Tageszeitungsverlage und neue Online-Medien ihre Angebote verbreiten. Als Kriterien fur den weiteren Ausbau werden von ihm Sicherheit, Nutzungsfreundlichkeit, aber auch das "Umsonstprinzip" benannt. Trotz dieser expandierenden Entwicklung verlieren die Dienstleistungen aus der Offline-Welt nicht an Bedeutung. Die On- und Offline-Markte existieren nebeneinander und erganzen sich. [15]
Das Internet ist - so weist SCHMIDT auf der Grundlage vorliegender empirischer Untersuchungen nach - als Informations- und Kommunikationsmedium in bestehende soziale Praktiken des Alltagshandels eingebettet. Die Konstitution des virtuellen lokalen Raums ist eine Form der Strukturierung, die sich als "uberindividuelle Verfestigung von Erwartungen und Routinen einerseits sowie als Herausbildung von sozialen Netzwerken und Sozialkapital andererseits ausert" (S.187). Je eindeutiger sich Regeln aus Angebotsstrukturen und Nutzungsverhalten etablieren, umso klarer wird ein "institutionalisierter Computerrahmen" (SCHMIDT), in dem Sicherheit, personlicher Schutz (Transaktion), Vertrauen in die angebotene Information (Distribution) und Gestaltung offentlicher Diskurse eine wichtige Rolle spielen. [16]
Die Konstitution des virtuellen lokalen Raums stellt fur SCHMIDT in zweifacher Hinsicht ein Beispiel fur Strukturierungsprozesse dar. Einerseits institutionalisieren sich Erwartungen und Verhaltensregeln und stellen einen Rahmen fur individuelle Nutzungsepisoden dar, mit dem die sinnvolle Nutzung des Mediums im Alltag ermoglicht wird. Andererseits bilden sich soziale Netzwerke, dauerhafte Beziehungsmuster und Sozialkapital. Der virtuelle lokale Raum ist fur beide Entwicklungen der zentrale Bezugspunkt, der bereits bestehende Kommunikationskanale erganzt. In dieser Beschreibung entspricht er dem relationalen Raumverstandnis, da er aus der "relativ stabilen Verknupfung von Objekten und Personen entsteht und den realen Raum erweitert bzw. erganzt, ohne ihn bedeutungslos werden zu lassen." (S.192) [17]
Im 4. Kapitel werden vom Autor vier Fallstudien zur Konstitution des virtuellen Raums vorgestellt, die sich auf die geographische Region Bamberg beziehen. Auf der methodischen Grundlage von Befragungen und Analysen von Netzwerknutzungen wurden Angebots- und Nutzungsstrukturen der in Bamberg offentlichen Internet-Zugangsorte (1), der bayerischen Burgernetze (2), des Burgernetzes Bamberg (3) und des Tourismusportals bamberg.info (4) untersucht. Mittels leitfadenorientierter Experteninterviews sowie standardisierter Fragebogen wurden Daten zu folgenden ubergeordneten Leitfragen erhoben: Wie verlief und verlauft die Institutionalisierung dieser Portale und Angebote? Welche Organisationen bzw. Kooperationen sind fur das Angebot verantwortlich? Welche Strategien werden in Bezug auf das Internet-Angebot verfolgt? Wer sind die Nutzer und Nutzerinnen der jeweiligen Angebote, was sind die dominanten Nutzungsmotive und -muster? Inwieweit beziehen sich die Angebote auf den "realen" Raum, inwieweit wird ihm eine neue Dimension hinzugefugt? [18]
Nach der sehr detailreichen Auflistung der Ergebnisse zu den einzelnen Fallstudien erscheinen folgende Schlussfolgerungen bemerkenswert: die niedrige Schwelle bei den offentlichen Internet-Zugangen erreicht nur teilweise ihre Zielgruppe und kann die Ungleichheiten der digitalen Spaltung nicht verandern. Das Nutzungsverhalten ist an bestimmte Orte gebunden, die wiederum mit spezifischen Erwartungen der Nutzer und Nutzerinnen gekoppelt sind. Obwohl in den Burgernetzen hohe Kooperationsbeziehungen entstehen, scheinen sie ihren Zenit im Netz uberschritten zu haben und mussen sich - wie die anderen Betreiber von Internet-Dienstleistungen auch - in Zukunft neu orientieren. SCHMIDT unterscheidet drei zukunftige Szenarien, die alle von ihm identifizierten Angebotstypen (Regionalportale, Burgernetze, Marktplatze) betreffen, Neben der Spezialisierung mit deutlicher Abgrenzung zu anderen Betreibern ("spezialisierte Isolation") sieht SCHMIDT die Moglichkeit, sich mit den jeweiligen Konkurrenten weiterzuentwickeln, entweder in "vollstandiger Integration" oder im Zusammengehen einzelner Teilbereiche der Angebote ("partielle Kooperation") (S.276). Insgesamt gelingt es dem Autor, die Fallstudien auf den von ihm entworfenen Analyserahmen des virtuellen lokalen Raums zu beziehen und damit die forschungspraktische Anwendung seiner theoretischen Grundlegung in der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Empirie zu demonstrieren. Jan SCHMIDT schliest seine Arbeit mit einem Blick auf die weitere Forschung ab. Demnach ist mit der vorliegenden Konzeption des virtuellen lokalen Raums ein analytischer Rahmen fur Forschungen zum sozialen Wandel moglich, der Themen wie raumliche Ent- und Restrukturierung, Strukturwandel sozialer Netzwerke, soziale Aneignung und Veralltaglichung von Technologien zum Gegenstand hat. Es bleibt abzuwarten, ob dies in kunftigen sozial- und medienwissenschaftlichen Forschungen eine entsprechende Umsetzung findet. [19]
4. Fazit und Ausblick: Zu neuen Ufern
Jan SCHMIDT leistet einen nicht unwesentlichen Beitrag zur sozial- und medienwissenschaftlichen Internetforschung, indem er empirische Fakten gegen den "technologischen Imperativ" (HOFLICH 1998, S.47) und die zur Metapher gewordene Raumlosigkeitsthese stellt. Damit steht er in der Tradition der Kritik am Technikdeterminismus, der soziales Handeln und gesellschaftliche Entwicklung als direkte Folge von Technologien interpretiert. Jenseits dieser "technizistischen Manier" (SCHONBERGER 2000, S.33) findet eine Art Entzauberung statt, mit der das Internet durch die faktische Aufdeckung des Nutzungsverhaltens auf den Boden der Realitaten gestellt wird. Jan SCHMIDT bestatigt die Ergebnisse anderer Untersuchungen, die in den Informations- und Kommunikationsmedien weder eine "Metaerzahlung" (DEBATIN 1997) noch einen "Hype" sehen, sondern eine gebrauchstaugliche Vermischung von Nutzungsweisen im Online- und Offline-Alltag. Demnach findet eine Uberschreitung sozialer Grenzen im Internet kaum oder nicht statt, sondern es dient dazu, bestehende Netzwerke zu intensivieren: im "Netz wird dasselbe Leben gefuhrt wie im real life" (SCHONBERGER 2000, S.35). [20]
In der sehr detailreichen Arbeit von SCHMIDT wird insbesondere die Technikentwicklung mit Bezug auf das alltagliche Handeln in der lokalen Region vermittelt. Die Arbeit besticht durch fundierte technologische und sozialwissenschaftliche Kenntnisse. Die Fulle von Untersuchungsdaten, die bisweilen die Orientierung erschweren, machen es interessierten Leserinnen und Lesern nicht unbedingt leicht. Diese erschwerte Zuganglichkeit mag dem Umstand geschuldet sein, dass es sich um eine Dissertation handelt, die die Erfullung hoher theoretische und methodologische Standards unter Beweis stellen sollte. Eine leserfreundliche Uberarbeitung wurde dem Buch gewiss gut tun. Vielleicht wurde ein Methodeninstrumentarium, das mehr auf qualitative Forschungsansatze setzt, auch die Handlungsbegrundungen und Sinnbezuge auf Anbieter- wie auf Nutzerseite, aufzeigen konnen. Beispielsweise weisen die Untersuchungen von DORING und DIETMAR (2003) oder PEEZ (2001) im Kontext der medialen Kommunikation in Paarbeziehungen oder der Kommunikation mittels Mailingliste in diese Richtung. [21]
Die Diskussion um die Metaphern von Raum und Internet scheint heute mit den "buzz-words" social software und web 2.0, Weblogs und Wikis in einem neuen Licht. Unter social software sind jene Informations- und Kommunikationstechnologien zu verstehen, die der digitalen Vernetzung dienen und sowohl Zugang als auch Nutzung wesentlich vereinfachen. Ziel und Aufgabe ist es, digitale Netzwerke zu schaffen, die "im Sinne der Emergenztheorie intelligenter sind als die Summe der Einzelteile" (BURG 2005). Moglicherweise nahert sich mit dieser technischen Entwicklung eine globale Periode dem Ende, in der die Realitat der Nutzungsepisoden die Imaginationen um Internet und Raum eingeholt hat. Dies anhand empirischer Untersuchungen aufgezeigt zu haben, ist ein Verdienst der Arbeit von Jan SCHMIDT. [22]
Am Beispiel der Weblogs soll die neue Art der digitalen Vernetzung kurz erlautert werden. Es handelt sich um eine Technik, ein Format und eine politische Ausdrucksmoglichkeit. Auf der technischen Seite stellen Weblogs nichts anderes als Content-Management-Systeme dar, bei denen die Software ihre Arbeit des Veroffentlichens, Archivierens und Abgleichens von Inhalten im Hintergrund erledigt und die Nutzenden sich unbeschwert der produktiven Selbstauserung zuwenden kann. Zur Handhabung der Software sind keine besonderen Kenntnisse notwendig und die finanziellen Aufwendungen sind dank open source und entsprechenden Dienstleistungsangeboten niedrig, wenn nicht gleich null. Als Format erscheinen Weblogs als Webseiten, die Texte, Titel, Bilder usw. chronologisch sortiert enthalten. Sozial werden sie durch besondere Elemente, die eine digitale Vernetzung in besondere Weise ermoglichen. Kommentierung, Permalink (jeder Beitrag in einem Weblog hat eine eigene, unveranderliche Internet-Adresse)und Trackback (in einem Weblog kann auf einen Beitrag zum gleichen Thema verwiesen werden) sorgen dafur, dass ohne grosen Aufwand ein Bezug zu anderen Weblogs aufgenommen werden kann. Diese Technik unterstutzt die kommunikative Verdichtung und verbessert die Moglichkeit zur politischen Gestaltung. Ob darin nun eine "eine neue Form der Demokratie" (BURG 2005) zu sehen ist, wird sich zeigen. Zweifellos ist jedoch, dass mittels Weblogs die Vernetzung und der Austausch gleichgesinnter Burger und Burgerinnen einfacher geworden ist. [23]
Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es bedeutungsvoll, dass sich Jan SCHMIDT in seinen neuen Forschungsvorhaben diesen Themen zuwendet. Teilweise sind sie in "Praktiken des Bloggens" (SCHMIDT 2005) bereits dokumentiert, teilweise werden sie in das zweijahrige PostDoc-Projekt Stellenwert und Konsequenzen von "social software" fur die Strukturierung interpersonaler Kommunikation eingehen. Auf die Ergebnisse darf man schon jetzt gespannt sein. [24]
Zum Autor
Albert K. PETERSHEIM, Diplom-Padagoge, Dr. phil.
Kontakt:
Dr. Albert K. Petersheim
research & consulting
Wulfingstrase 12
D-42107 Wuppertal
E-Mail: [email protected]
URL: http://www.petersheim.de/
Zitation
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© 1999-2011 Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (ISSN 1438-5627)
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Copyright Freie Universität Berlin 2006
Abstract
Computers and the Internet are nowadays part of our everyday lives. The advantages provided by the technical and financial resources are obvious. At the same time, daily routines change through Internet utilization and therefore relocate the importance of space and time up to the point of their apparent disappearance. In his dissertation, Jan SCHMIDT questioned ideas of space-loss (end of geography, cyberspace, Internet spacelessness) and shows, with an example of regional network utilization, that the constitution of existing space does not get lost but is instead enhanced. The anchorage of regional networks in a geographic region gets clearer in scientific research, where the provider and user step into an interest-led exchange. Jan SCHMIDT describes dimensions of virtual regional space that structure the user's behaviour and expectations in a special way in their daily life. In this respect this is research of interest to anybody who deals with the impact of the Internet and its configuration for potential service. It is not necessarily a disadvantage that the social- and media-scientific perspective is highlighted but narrows the audience due to a very high scientific standard.
URN: urn:nbn:de:0114-fqs0601130
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