Abstract. Tradition and Language according to "Being and Time". The article takes its point of departure from Gadamer's idea that language is the essence of tradition. Accordingly, it explores the suggestion that the hermeneutical approach to language according to Being and Time shows a fruitful path to understand the problem of tradition thematically. However, in contrast to Gadamer's approach which underlines the written aspect of tradition, it stresses its discourse dimension. The interpretation of tradition from the multi-layered concept of discourse (Rede) expands the reflection on tradition in Being and Time and allows to conceive it as both: a productive appropriation of the past with regards to the future and the crossing point between the possible, the sense (Sinn) , and the "real", the meaning (Bedeutung).
Keywords: Tradition - Language - Sense - Meaning - Being and Time
Einleitung
Gadamers Grundgedanke, "daß es das Wesen der Überlieferung ist, im Medium der Sprache zu existieren"* (Gadamer 1972, 367) soll als Einstieg in folgenden Versuch und als einführende Rechtfertigung der Absicht dieses Beitrags gelten. Er soll darauf hinweisen, dass der seinshermeneutische Ansatz zur Sprache, so wie er in "Sein und Zeit" entwickelt worden ist, einen fruchtbaren Weg zeigt, um das Problem der Tradition in diesem Kontext thematisch zu verstehen. Die Behauptung eines solchen Gedankens impliziert aber nicht die weitere Bestimmung der Gadamerschen Idee: "Daß das Wesen der Überlieferung durch Sprachlichkeit charakterisiert ist, kommt offenbar zu seiner vollen hermeneutischen Bedeutung dort, wo die Überlieferung eine schriftliche wird." (Gadamer 1972, 367). Im Unterschied dazu wird hier betont, dass der Ansatz zur Sprache in "Sein und Zeit" eine besondere Relevanz für eine gegenwärtige Reflexion über die Tradition gewinnen kann, gerade wenn die Dimension des Redens der Sprache hervorgehoben wird, ohne notwendigerweise den Akzent auf den schriftlichen Aspekt zu legen.
Von Anfang an muss Folgendes klar gemacht werden: Um das Phänomen der Tradition im Kontext von "Sein und Zeit" thematisch verstehen und die mögliche Relevanz einer solchen Analyse für eine weitere Diskussion einschätzen zu können, ist es notwendig zu beachten, inwiefern in diesem Text thematische Ausarbeitung und methodischer Approach zusammenlaufen. Es geht um die Art des Philosophierens in "Sein und Zeit", wo sich Methode und Inhalt, begriffliches Thema und operative Entwicklung der Begriffe, Kritik und Aneignung der traditionellen Grundbegriffe, Form und Materie (in einer für den Text ziemlich fremden Ausdruckweise) gegenseitig beeinflussen und von dem Ziel des Werkes, nämlich "die Frage nach dem Sinn vom Sein erneut zu stellen" (Heidegger 1979, 1) vereinheitlicht werden. Die entsprechend reflektierte neue Gestaltung des Philosophierens lautet: "Philosophie ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt." (Heidegger 1979, 436). Dementsprechend identifiziert die Erläuterung von "Sein und Zeit", die noch in Arbeit ist (von Herrmann 1987, 2005, 2008), die in diesem Werk "entworfene und ausgearbeitete Fundamentalontologie als eine hermeneutische Phänomenologie des Daseins" (von Herrmann 1987, ix).
Dieser Erläuterung zufolge werden wir im Verlauf unserer Argumentation unter dem Titel Dasein verstehen: "das existierende, seinsverstehende Seiende, während Existenz der Name für die eigenste Seinsweise dieses Seienden ist." (von Herrmann 2005, 16). Dieser Erläuterung ist also eine Unterscheidung zu entnehmen, die für unseren Zusammenhang eine zentrale, methodische Implikation hat: Das rechte Verständnis "vom existenzial-ontologischen Grundbegriffder durchschnittlichen Alltäglichkeit ist nur dann gewährleistet, wenn dieser Begriffvon seiner weitverbreiteten, verhängnisvollen Ineinssetzung mit dem anderen existenzial-ontologischen Grundbegriffder Uneigentlichkeit befreit wird" (von Herrmann 2005, 18). Der Begriffder durchschnittlichen Alltäglichkeit bezieht sich auf die "nicht herausgehobenen, daher indifferenten gehaltlichen Existenzmöglichkeiten als Möglichkeiten des Inder- Welt-seins" (von Herrmann 2005, 18), während der Begriffder Uneigentlichkeit, bzw. Eigentlichkeit, "einen Vollzugsmodus des Existierens" (von Herrmann 2005, 18) nennt. Damit kann der Begriffder Durchschnittlichkeit, die Seinsart, in der das Dasein zunächst und in der Regel existiert, als systematisches Verfahren verstanden werden, das der alltäglichen, weder eigentlichen noch uneigentlichen Daseinsauslegung als Leitfaden folgt.
Das genannte Ziel des Werkes, die so verstandene Bestimmung der philosophischen Tätigkeit und die fortlaufende Erläuterung von "Sein und Zeit" sind methodische Bedingungen, die wir in dieser Arbeit voraussetzen, um zu versuchen, die Konjunktion von Sprache und Tradition nach "Sein und Zeit" in Angriffzu nehmen.
Die in "Sein und Zeit" entfaltete Sprachinterpretation lässt sich nur zureichend erfassen, wenn man die Gesamtheit der Reflexionsbewegung berücksichtigt, die ihren ausdifferenzierten Momenten und Schichten folgt. Der Vermerk am Anfang des § 34, dass von dem Phänomen der Rede "wir in der bisherigen Interpretation [...] ständig schon Gebrauch gemacht [haben]" (Heidegger 1979, 161), dass "es in der thematischen Analyse aber gleichsam unterschlagen" (Heidegger 1979, 161) und dass "jetzt erst Sprache Thema wird" (Heidegger 1979, 160), macht sichtbar, dass der Begriffder Rede verschiedene Schichten aufweist. Folglich können wir aufgrund der hermeneutischen Darstellungsweise in dem Werk drei begriffliche Grundebenen oder Momente identifizieren. Zuerst kann man den Begriffder Rede als "Existenzial" verstehen, das die "formale" Struktur des In-der- Welt-seins darstellt. Auf einer zweiten Betrachtungsebene kann man diesen Begriffin dem Sinne verstehen, dass sich die Rede immer auf die eine oder andere Art in Übereinstimmung mit den Modi der Eigentlichkeit bzw. Uneigentlichkeit artikuliert, in der das Dasein seine Möglichkeiten ist. So wird die Rede auf der einen Seite in Betracht gezogen, insofern sie zum Gerede wird, und auf der anderen wird sie in einer ihrer wesentlichen Möglichkeiten gesehen, wie dem Hören, in Verbindung mit dem Gewissen, das dem Dasein seine Entschlossenheit ermöglicht. Schließlich kann man eine dritte Ebene sehen, wo Rede aus dem Horizont der Zeitlichkeit verstanden wird. Diesen drei Momenten des Redebegriffes liegt die im Text permanente Einheit ihrer Verbindung mit der Frage nach dem Sinn des Seins zugrunde. Diese dreischichtige Bestimmung des Redebegriffes und ihre Grundartikulation durch die Frage nach dem Sinn des Seins legt die theoretische Grundlage eines Zugangs zum Verständnis der Überlieferung.
Die folgenden vier Schritte haben die Absicht zu zeigen, wie zentrale Facetten des Redebegriffes, so wie er in "Sein und Zeit" erschlossen worden ist, die in diesem Werk dargestellte Reflexion über die Tradition erweitern und begründen.
1. Rede als Artikulation von Bedeutung und Sinn
Heideggers Ansatz zur Sprache 1 wird in "Sein und Zeit" durch zwei komplementäre Begriffe entfaltet, die im Kontext dieses Werkes als technici Termini gelten: "Rede" und "Sprache" (Heidegger 1979, § 34). Die Rede konstituiert "gleichursprünglich" die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins. Sie ist die Existenzialstruktur des "Da". Die Sprache hat ihre Wurzeln in der Verfassung dieser existenzialen Struktur: Rede ist das existenzialontologische Fundament der Sprache. "Sprache" bezeichnet das Phänomen als solches, wenn es in seiner Unmittelbarkeit gegeben ist. "Rede" wird verstanden als Bedingung der Möglichkeit des Phänomens aus der Perspektive der Analytik des Daseins. Die Rede als solche schließt die "Verlautbarung" durch das Wort nicht ein, während die Sprache durch das Wort charakterisiert ist. Der Übergang der Rede zur Sprache wird durch den Begriff"Hinausgesprochenheit" gekennzeichnet, durch diese Hinausgesprochenheit hat die Rede ein eigenes "weltliches Sein".
Aus der Perspektive dieser ersten der möglichen Betrachtungsweisen erscheint der Begriffder Rede als die Artikulation der Verständlichkeit, d. h. als Schnittpunkt von Bedeutung und Sinn; Bedeutung ist dabei das schon Artikulierte, Sinn dagegen das, was in Abhängigkeit vom ersten Entwurf artikuliert werden kann. Da die Rede die Gliederung von Bedeutung und Sinn ist, gilt es zunächst kurz beide Begriffe aus der Struktur des In-der- Welt-seins hinaus zu identifizieren. In diesem Kontext bedeutet "Welt" den ontologisch-existenzialen Begriffder Weltlichkeit und "In-der-Welt-sein" besagt das "unthematische, umsichtige Aufgehen in den für die Zuhandenheit des Zeugganzen konstitutiven Verweisungen." (Heidegger 1979, 76). Zentral für unser Argument ist es, dass die Welt als solche in Bedeutsamkeit besteht, die ihren Ursprung in dem alltäglichen Umgang mit dem innerweltlichen Seienden hat. Die Welt ist das, was das Zuhandene begegnen lässt. Nach dem technischen Ausdruck ist das Phänomen der Welt "Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem in der Seinsart der Bewandtnis" (Heidegger 1979, 86). Die Welt wird durch die Grundstruktur des Verstehens begriffen. Das Verstehen hält die Beziehungen, die aus dem Umgang mit dem Zuhandenen entstehen, in einer bestimmten Erschlossenheit. "Bedeuten" bezeichnet folglich den Bezugscharakter dieser Bezüge des Verweisens. Die Bedeutsamkeit wiederum ist das Bezugsganze dieses Bedeutens. Die Welt als solche besteht in der Bedeutsamkeit, und hier zeigt sich der wesentliche Charakter der Rede in Hinblick auf ihre ontologische Verfassung: die Tatsache, ihre Grundlage in der Bedeutsamkeit zu haben. Der Umgang mit dem Zuhandenen, mit der das Dasein je schon vertraut ist, birgt in sich die ontologische Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das verstehende Dasein als auslegendes so etwas wie Bedeutungen erschließen kann, die ihrerseits wieder das Wort konstituieren. Diese Analyse zeigt, dass die Bedeutung keine ausschließlich sprachliche Eigenschaftist: Bedeutsamkeit konstituiert die Artikulation von nicht ausschließlich sprachlichen Erscheinungen (wie Zuhandenes, Rede als solche) mit, Dies wird klar am Fall des Zeichens: Zeichen sind Zeugen, deren spezifischer Zeugcharakter im Zeigen besteht. Daher ist das Wesentliche im Zeichen: "ein Zeug, das ein Zeugganzes ausdrücklich in die Umsicht hebt, so daß sich in eins damit die Weltmäßigkeit des Zuhandenen meldet." (Heidegger 1979, 80) zu sein. Das Zeichen als ein ontisches Zuhandenes zeigt die ontologische Struktur Weltlichkeit an.
"Sinn" ist die andere Komponente der Artikulation der Rede. In unserem Argumentationszusammenhang ist es entscheidend, dass der Sinn im Verstehen gründet und dass im Verstehen die Seinsart des Daseins als Seinkönnen liegt. Da Verstehen das Sein solchen Seinkönnens ist, wird es von diesem Seinkönnen her gefasst. Seine Bestimmung ist also folgende: "Verstehen ist das existenziale Sein des eigenen Seinkönnens des Daseins selbst, so zwar, daß dieses Sein an ihm selbst das Voran des mit ihm selbst Seins erschließt." (Heidegger 1979, 144). Deswegen stellt die Möglichkeit als Existenzial die ursprünglichste und letzte positive ontologische Grundbestimmung des Daseins dar. Was im Verstehen eröffnet wird, ist die Verfassung des In-der- Welt-seins und das Verstehen an ihm selbst hat die existenziale Struktur des Entwurfes, der sich als die existenziale Seinsverfassung des Spielraums des faktischen Seinkönnens erweist. Der Entwurf, allgemeiner gesagt, das Seinkönnen, stellt die Grundlage dar für die "Erschlossenheit": "Die Erschlossenheit des Da im Verstehen ist selbst eine Weise des Seinkönnens des Daseins." (Heidegger 1979, 147). In dieser Erschlossenheit, oder auch im Entwerfen des Verstehens, wird das innerweltliche Seiende entdeckt, d. h. es ist zu Verständnis gekommen. Wenn diese Erschließung des Seienden durch das Sein des Daseins entsteht, dann hat innerweltliches Seiendes Sinn. Wenn die "Umsicht" das Zuhandene entdeckt, das noch nicht verstanden worden ist, wird die Welt durch die Sicht ausdrücklich verstanden. In der besorgenden Umsicht wird das Zuhandene nicht nur in seiner Beziehung zum "Um-zu" verstanden, sondern auch als etwas Bestimmtes, z. B "dieses als Tisch" (Heidegger 1979, 149). Davon ausgehend versteht sich diese Struktur des "ausdrücklich Verstandenen", die als "Etwas als Etwas" (Heidegger 1979, 149) gefasst wird, als Grundlage der Auslegung: "Das 'Als' macht die Struktur der Ausdrücklichkeit eines Verstandenen aus; es konstituiert die Auslegung," (Heidegger 1979, 149). Diese Struktur muss nicht notwendigerweise, um als solche zu entstehen, durch eine Aussage ausgedrückt werden. Der Charakter des "als", der zum Verständnis des Zuhandenen führt, ist vorprädikativ: "Die Artikulation des Verstandenen in der auslegenden Nahrung des Seienden am Leitfaden des 'Etwas als Etwas' liegt vor der thematischen Aussage darüber." (Heidegger 1979, 149). Die Gliederung der geschaffenen Welt durch die Auslegung schließt die Ausgesprochenheit nicht notwendig ein. Die Auslegung hat ihre Grundlage in dieser vorprädikativen Struktur, die es ihrerseits ermöglicht, den BegriffSinn zu erfassen. Das innerweltliche Seiende hat, da es durch das Dasein entdeckt wird, Sinn. Unter dieser Entdeckung ist nicht der Sinn, sondern "das Seiende, bzw. das Sein" (Heidegger 1979, 151) zu verstehen. Der Sinn im engeren Sinn ist das, "worin sich Verständlichkeit von etwas hält." (Heidegger 1979, 151); er ist das "strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird." (Heidegger 1979, 151) und innerhalb des Entwurfs artikuliert er die Auslegung. "Sinn" bezeichnet deswegen "das formal-existenziale Gerüst der dem Verstehen zugehörigen Erschlossenheit" (Heidegger 1979, 152). Aus diesem Grund hat Sinn nur das Dasein, und es kann nur sinnvoll oder sinnlos sein. In dem Sinn hält sich die Verstehbarkeit von etwas, ohne dass er selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt. Zusammenfassend, aus der Perspektive des möglichen Seinkönnens des Daseins: "Sinn bedeutet das Woraufhin des primärem Entwurfs, aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann. Das Entwerfen erschließt Möglichkeiten, das heißt solches, das ermöglicht." (Heidegger 1979, 324). Der Sinn als Ergebnis des primären Entwurfs erschließt einen Raum, der auf der Grundlage des Möglichseins die Fähigkeit hat zu ermöglichen.
Wie gesagt, im Rahmen der Analytik des Daseins wird die Sprache durch eine doppelte und komplementär begriffliche Bestimmung gefasst: Rede- Sprache. Rede als Artikulation der Verständlichkeit besteht sozusagen aus zwei Seiten: Sinn und Bedeutung. Der Sinn ist das Artikulierbare, während die Bedeutung das Gegliederte als solches ist. Darüber hinaus können Worte Bedeutungen aussprechen. Da das Dasein ein solches Seiendes ist, das geworfen, auf die Welt angewiesen ist, ist die Sprache, durch die die Rede ausgedrückt wird, vorfindlich wie ein Zuhandenes: "Das Bedeutungsganze der Verständlichkeit kommt zu Wort. Den Bedeutungen wachsen Worte zu." (Heidegger 1979, 161). Das bedeutet aber, dass Rede als grundartikulierende Struktur nicht ausschließlich die Sprache ermöglicht. Mit der Begriffsbildung der Rede als der Artikulation der Verständlichkeit und als von einer möglichen "Verlautbarung" unabhängig, dehnt sich die Analyse der Sprache in "Sein und Zeit" auf ein größeres Feld von Phänomenen aus, und zwar auf die Grundformen des Hörens und Schweigen. Das Hören ist konstitutiv für das Reden. So hat auch das akustische Vernehmen das Hören als Grundlage, wie die sprachliche Verlautbarung in der Rede. Schweigen ist die andere wesenhafte Möglichkeit des Redens. Man kann sich auch durch das Schweigen verständlich machen, d. h. das Verständnis ausbilden. Damit wird das Schweigen nicht als Entzug verstanden, also als einfache Tatsache des Nicht-Sprechens, sondern es wird als etwas Aktives verstanden. Im strengsten Sinne kann man nur schweigen, wenn man etwas zu sagen hat.
2. Hörenkönnen als Grundlage der Überlieferung
Nach der zweiten Betrachtungsebene des Redebegriffs wird Rede in Beziehung zur Eigentlichkeit bzw. Uneigentlichkeit, d. h. zu den Modi, in denen das Dasein seine Möglichkeiten ist, betrachtet. Hier wird aus der Erschlossenheit her über der Ebene der formal-ontologischen Analyse der Rede eine neue Bestimmung aufgebaut, wo die Rede in Bezug auf das mögliche Seinkönnen des Daseins, d. h. die Entschlossenheit, begriffen wird. Die Entschlossenheit besteht darin, wie sich das Dasein gegenüber seinen Möglichkeiten, sogar gegenüber dem Möglichen als solchem, verhält. Eine Bildungsart dieses Daseinsverhaltens sein Möglichsein ist das "Man". Das Dasein ist immer schon in einer entdeckten Welt. Der Sinn wird faktisch in einer Bedeutungsgestalt, die die Ausgelegtheit des Man konstituiert. Aus dieser unmittelbaren Welt nimmt das Dasein seine Möglichkeiten; d. h. die Daseinsmöglichkeiten, ihr Seinskönnen als solches, entstehen nur aus den schon kristallisierten Bedeutungen. Die Daseinsmöglichkeiten werden auf das alltäglich zunächst Verfügbare nivelliert und die durchschnittliche Alltäglichkeit erbringt "eine Abblendung des Möglichen als solchen. Die durchschnittliche Alltäglichkeit des Besorgens wird möglichkeitsblind und beruhigt sich bei dem nur 'Wirklichen'" (Heidegger 1979, 194f). Dabei wird die Rede Gerede: "Das Gerede ist von Hause aus [...] ein Verschließen" (Heidegger 1979, 169), wo "die mitgeteilte Rede weitgehend verstanden werden [kann], ohne daß sich der Hörende in ein ursprünglich verstehendes Sein zum Worüber der Rede bringt." (Heidegger 1979, 168). Das "Worüber" die Rede ist, ist die Sache, um die es geht. Was hier auf dem Spiel steht, ist, wie sich das Dasein der Rede gegenüber verhält, d. h. gegenüber einem mit Bezug auf die Sache möglichen Sagenkönnen. Das Gerede gibt die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne Zueignung der Sache. Damit wird Man, wer spricht: "Die Sache ist so, weil man es sagt" (Heidegger 1979, 168). Durch diesen Kniffversucht das Dasein der Verantwortung auszuweichen, es selbst zu werden; eine Verantwortung, die gerade aus dem Gebrauch des Personalpronomens entsteht. Das mögliche, eigentliche Selbstsein kann sich nur gegen diese herrschende Daseinsauslegung ausbilden.
Dieses eigentliche Seinkönnen wird durch die Stimme des Gewissens mitgeteilt. Da für die Rede die stimmliche Verlautbarung nicht wesentlich ist, ist der Ruf dieser Stimme also lautlos. Mehr noch, da es kein wahrnehmbares Indiz dieser Stimme gibt, ist der Rufer als Wer dieses Redens weltlich durch nichts bestimmbar. Jedoch wird auch damit noch die Funktion der Rede als Artikulation der Verständlichkeit durchgeführt: "Das Gewissen gibt 'etwas' zu verstehen, es erschließt" (Heidegger 1979, 269). Das Gewissen offenbart sich als Ruf und das Rufen ist "ein Modus der Rede" (Heidegger 1979, 269). Das Gewissen nimmt die Gestalt der Stimme an, die etwas zu verstehen gibt. Das Gewissen ist deswegen ein sprachliches Phänomen, insofern es als Rede erfasst werden kann und es ist deswegen Rede, weil es, selbst wenn auch ohne Verlautbarung, die Struktur der Rede mit ihren wesentlichen Momenten, wie dem Geredeten als solchem oder der Mitteilung, aufweist. Damit erreicht die Rolle des Schweigens als sprachlich begründetes Phänomen eine besondere Bedeutung: es gibt kein materielles Zeichen, mit dem man einem Anderen das mitteilen kann, was vom Gewissen geredet wird. Das Gewissen zeigt die paradoxe Besonderheit, dass es nur im Modus des Schweigens redet, das dem Dasein ermöglicht, sich zu entschließen: "Das eigentliche Selbstsein sagt als schweigendes gerade nicht 'Ich-Ich, sondern 'ist', in der Verschwiegenheit das geworfene Seiende, als welches es eigentlich sein kann." (Heidegger 1979, 322f). Als schweigendes vollzieht dieses Reden des Gewissens die Wendung, durch die das Dasein sich vom Man zum Selbst wandeln kann.
Da Eigentlichkeit bzw. Uneigentlichkeit mögliche Modi des Seinkönnens sind, haben sie ihre Wurzeln in der Sorge, der existenzialen Struktur, in der die grundsätzliche Einheit der in der Analytik behandelten Phänomene deutlich wird: "Die Seinsganzheit des Daseins als Sorge besagt: Sichvorweg- schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)" (Heidegger 1979, 327). Dementsprechend ist die Entschlossenheit als Modus der eigentlichen Sorge nur durch die Zeitlichkeit möglich. Solange die Zeitlichkeit der Sinn der eigentlichen Sorge ist, manifestiert sie sich als die dritte mögliche Betrachtungsebene des Redebegriffs in "Sein und Zeit", die der ursprüngliche Grundpunkt der nur als daseinsmäßig zu charakterisierenden Einheit der Redensebenen ist: "Die Rede ist an ihr selbst zeitlich, sofern alles Reden über..., von.. und zu... in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gründet." (Heidegger 1979, 349). Der Text gibt einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Zeit und Rede, der mit Bezug auf die Argumentation, die wir hier vorschlagen, besonders wichtig ist, weil gerade auf diesem Zusammenhang die mögliche Explikation der Sprachlichkeit der Tradition beruht: "Aus der Zeitlichkeit der Rede, das heißt des Daseins überhaupt, kann erst die 'Entstehung' der 'Bedeutung' aufgeklärt und die Möglichkeit einer Begriffsbildung ontologisch verständlich gemacht werden." (Heidegger 1979, 349). Damit fällt der ontologische Sinn des "ist" mit der Entstehung von Bedeutungen zusammen.
3. Die Möglichkeit der schweigenden Überlieferung
Die Grundartikulation der Tradition auf der Basis der existenzialen Analytik kann dadurch identifiziert werden, dass das Sein des Daseins, die Existenz, seinen Sinn gerade in der Zeitlichkeit hat und dass die Zeitlichkeit die Bedingung der Möglichkeit der Geschichtlichkeit ist. Von seiner Zeitlichkeit ausgehend existiert das Dasein geschichtlich. Geschichtlichkeit ihrerseits ist der Grund der Tradition, insofern das Dasein ist, wie und was es schon war. Das Dasein ist seine Vergangenheit2. Die Zeitigung bezeichnet eine dreifach strukturierte Bewegung, sie vollzieht sich in den drei Ekstasen des Auf-sichzukommens, Auf-sich-zurückkommens, Gegenwärtigen. Diese Bewegung zeigt einen besonderen Bezug zur existenzialen Vergangenheit, also zur Gewesenheit des Daseins. Deshalb hat die Zeitigung den Wesenscharakter des Geschehens der Geschichtlichkeit. Tradition ihrerseits als zur Geschichtlichkeit gehörend ist fundamentale Seinsstruktur. Dementsprechend sollten alle der Tradition so wie auch der Geschichtlichkeit entsprechenden Prädikate, die von dem überlieferten Seinsverständnis abhängig sind, aus dem neuen ontologischen Horizont verstanden werden, den "Sein und Zeit" zu erschließen versuchte,. 'Das Dasein ist seine Vergangenheit' heißt deshalb nicht, dass die Vergangenheit als eine noch vorhandene Eigenschaftim gegenwärtigen Leben nachwirkt oder einfach Einfluss haben könnte, sondern dass das Dasein seine Vergangenheit in der Weise seines Seins ist, dessen Existenz Zeitlichkeit ist. Tradition als Geschichtlichkeit ist eine grundsätzliche Verfasstheit des Seins des Daseins. Das Dasein existiert geschichtlich ständig in allen ihm möglichen Seinsarten. Das Sein des Daseins ist in dieser grundsätzlichen Weise geschichtlich, ebenso wie es grundsätzlich zeitlich ist in der Weise der Zeitigung der Zeitlichkeit. Dem Dasein kann Historizität, nicht aber Geschichtlichkeit fehlen. Das Fehlen von Historie irgendwelcher Art kann nicht dazu führen, die Geschichtlichkeit als wesenhafte Seinsverfassung des Daseins zu leugnen. Mit dem Fehlen von Geschichtlichkeit würde dieses Seiende aufhören, als Dasein zu existieren. Denn die Geschichtlichkeit ist als Seinsverfassung des Daseins eine wesenhafte Weise, wie es diesem in seinem Sein um sein Sein geht. Demzufolge ist die Tradition, insofern sie die Struktur der Geschichtlichkeit mitkonstituiert, auch eine wesenhafte Weise, wie es diesem in seinem Sein um sein Sein geht. Vergangenheit meint demnach die existenzial verstandene Vergangenheit im Sinne der ererbten Existenzmöglichkeiten.
Weil das Dasein aufgrund der Zeitlichkeit in seiner Gewesenheit offen ist, ist der Weg zur Tradition vorwissenschaftlich je schon offen. Aus diesem Grunde existiert es geschichtlich als Sichüberliefern ererbter Möglichkeiten dagewesenen Daseins. Dieses Sichüberliefern dagewesener Möglichkeiten braucht aber nicht ausdrücklich um die Herkunftder ererbten Möglichkeiten zu wissen. Dementsprechend bedeutet die Idee, dass das Dasein ausdrücklich oder nicht seine Vergangenheit ist, dass das Dasein aus den ererbten Möglichkeiten entweder unausdrücklich in der Weise des Sichüberlieferns oder ausdrücklich in der Weise der Wiederholung existieren kann. Aus seiner Zeitlichkeit hat das Dasein dennoch die Möglichkeit, die ererbte Existenzmöglichkeit ausdrücklich aus dem überlieferten Daseinsverständnis zu holen. Auf diese Weise kommt das Dasein auf sein geworfenes Erschlossengewesen zurück und wiederholt ausdrücklich die ererbten Möglichkeiten im Sichüberliefern. In solcher Wiederholung geht das Dasein ausdrücklich zu den Möglichkeiten gewesenen Daseins zurück. Dieses ausdrückliche Sichüberliefern, das Wiederholen, ist aber noch kein wissenschaftliches Verhalten zur Geschichte. Demnach sind drei Modi des existierenden Verhaltens zur Vergangenheit zu unterscheiden: 1. das Geschehen des Sichüberlieferns dagewesener Möglichkeiten, das sich unausdrücklich vollzieht, also ohne Wissen um die Herkunftdieser Möglichkeiten; 2. die Wiederholung der ererbten Möglichkeiten als ein ausdrückliches Sichüberliefern, das aber selbst noch vorhistorisch ist; 3. das historisch-wissenschaftliche Thematisieren und Auslegen der dagewesenen Existenzmöglichkeiten. Die historische Thematisierung geschieht aus der Wiederholung heraus, ist aber nicht identisch mit dieser, sondern eine Modifikation dieser, sie ist die Abwandlung der vorhistorischen zur historischwissenschaftlichen Wiederholung. Dementsprechend kann die Geschichtlichkeit des Daseins diesem selbst verborgen bleiben oder es kann sie entdecken und ihr ausdrücklich nachgehen. Im letzteren Fall werden die Tradition und die Erschließung dessen, was sie überliefert als eigenständige Aufgabe in der Art des historischen Fragens und Forschens ergriffen.
Zentral für unsere Thesis ist erstens, dass die Überlieferung aus ererbten Möglichkeiten besteht und zweitens, dass diese Überlieferung geschehen kann ohne notwendigerweise ausdrücklich werden zu müssen. Die vertretene These, dass die Dimension des Redens eine besondere Relevanz für das Verständnis der Tradition nach "Sein und Zeit" hat, zeigt damit ihre begriffliche Wirklichkeit. Nur eine Konzeption der Sprache, die vom Reden her gewonnen wird, kann über den nicht-ausdrücklichen, bzw. schweigenden Aspekt der Überlieferung Aufschluss geben. Damit wird ihr die Idee, dass "das Wesen der Überlieferung durch Sprachlichkeit charakterisiert ist" (Gadamer 1972, 367) zugeschrieben, aber gleichzeitig ein anderer, vom schriftlichen Aspekt der Überlieferung unterschiedlicher, aufgewiesen, und zwar ihre redensmäßige Konstitution. Um über Überlieferung zu reden, müssen wir artikulierbares Verständnis, d. h. Rede, vorauszusetzen, was nicht unbedingt schriftlich sein sollte3.
Überdies ist das andere schon gewesene Dasein in der Form von ererbten Existenzmöglichkeiten erschlossen. Das existenziale Gewesen ist konstitutiv für die Erschlossenheit des Daseins, das als solches im Miteinandersein mit Anderen existiert: "Seine eigene Vergangenheit -und das besagt immer die seiner 'Generation' - folgt dem Dasein nicht nach, sondern geht ihm je schon vorweg." (Heidegger 1979, 20). Darin liegt der Grund davon, dass das Dasein "in eine überkommene Daseinsauslegung hinein- und in ihr aufgewachsen [ist]. Aus dieser her versteht es sich zunächst und in gewissem Umkreis ständig." (Heidegger 1979, 20). Das Dasein kann nur dadurch verstehen, dass es sich in den dagewesenen Möglichkeiten, die es sich überliefert, schon verstanden hat. Zunächst und ständig überliefern die dagewesenen Möglichkeiten, in denen sich das Dasein versteht, eine schon gegebene Daseinsauslegung, d. h. die Ausgelegtheit der Daseinsmöglichkeiten im Seinsmodus der durchschnittlichen Alltäglichkeit. "Dieses Verständnis erschließt die Möglichkeiten seines Seins und regelt sie." (Heidegger 1979, 20).
4. Die produktive Aneignung der Tradition als Erschließung des Sinnes
Tradition ist also ein Modus des Daseinsverhaltens zur eigenen Geschichte. Unmittelbar ist sie das vorherrschende Daseinsverhalten zur eigenen Geschichte, die auf der existenzialen Struktur der durchschnittlichen Alltäglichkeit beruht. Von dem existenzialen Standpunkt aus sind der Tradition gegenüber zwei Grundhaltungen möglich. Einerseits entfaltet sie sich als Herrschaftder verfallenden Überlieferung, die ihre existenziale Wurzel in der Seinsverfassung des Daseins selbst hat. Eins mit seinem Verfallen an die Welt verfällt das Dasein auch seiner Überlieferung. Mit Bezug auf den möglichen Existenzvollzug des Daseins kann sie beim Verfallen uneigentlich werden. Dementsprechend hat das Dasein "nicht nur die Geneigtheit, an seine Welt, in der es ist, zu verfallen und reluzent aus ihr her sich auszulegen," (Heidegger 1979, 21), sondern es verfällt damit auch seiner Tradition: "Diese nimmt ihm die eigene Führung, das Fragen und Wählen ab." (Heidegger 1979, 21). Wenn die herrschende Tradition das Übergebene nicht selbstverständlich zugänglich macht, verdeckt sie "den Zugang zu den ursprünglichen Quellen" (Heidegger 1979, 21), von denen die überlieferten Erfahrungen und Begriffe im daseinsmäßigen Sichüberliefern tradiert werden; sie werden überliefert, ohne dass ihr Ursprungsbereich beachtet wird. Die verfallende Überlieferung verschließt jene Quellen, aus denen das Übergebene primär geschöpftwurde. Damit hat das Verfallen an die Tradition bezüglich der Erschlossenheit verdeckenden, verschließenden Charakter. Wenn sich die ursprünglichen Quellen auf das Seinsverständnis beziehen, verdeckt die ontologische Tradition die Gewinnung der ursprünglichen Erfahrung, die die ontologischen Bestimmungen geführt und ermöglicht hat. Mit der Herrschaftder verfallenden Überlieferung werden die ontologischen Bestimmungen selbstverständlich. Das aber besagt nicht einfach, dass sie unkritisch übernommen wurden, sondern vielmehr dass sie im Gang ihrer Überlieferungsgeschichte nicht radikal aus ihrem daseinsmäßigen Ursprungsbereich verstanden worden sind. Die Herrschaftder verfallenden Überlieferung macht die Herkunftder überlieferten Begriffe aus dem daseinsmäßigen Seinsverständnis vergessen. Das Dasein versteht die elementarsten Bedingungen nicht mehr, aus denen es sich selbst ausgebildet hat.
Dagegen zeigt sich ein zweiter Weg, sich der Tradition gegenüber zu verhalten. Während die verfallende Überlieferung die Geschichtlichkeit des Daseins entwurzelt, ermöglicht hingegen ihrerseits die existential ergriffene Geschichtlichkeit, die elementarsten Bedingungen so zu verstehen, dass ein "positiver Rückgang zur Vergangenheit im Sinne einer produktiven Aneignung" (Heidegger 1979, 21) geöffnet wird. Dieser positive Rückgang zur Vergangenheit soll gegen das Ausliefern der ontologischen Überlieferung an die Selbstverständlichkeit, das Verdecken der ursprünglichen ontologischen Erfahrungsquellen und das Vergessenmachen der Herkunftder Begriffe aus einem leitenden Seinsverständnis des Daseins gewonnen werden. Damit wird auch eine positive Aufgabe der Tradition erschlossen, die wesentlich dadurch charakterisiert wird, dass sie eine produktive Aneignung ermöglichen soll. Bezüglich der Vergangenheit der Philosophie als Ontologie ist diese Aufgabe positiv, wenn die überlieferten Begriffe hinsichtlich ihrer Herkunftaus dem Seinsverständnis des Daseins neu angeeignet werden und nicht nur wie sie auf Grund des Verfallens an die Tradition überliefert werden. In diesem Fall liegen die Bedingungen für einen auslegenden Rückgang zur Vergangenheit letztlich in der ausdrücklichen und ursprünglicheren Wiederholung der Seinsfrage.
Die ausgearbeitete Frage nach dem Sinn des Seins reflektiert demnach zwei mögliche Verhaltensweisen gegenüber der Tradition. Der Hauptgedankenzug der Reflexion über die Tradition in "Sein und Zeit" richtet sich auf die Überlieferung der Frage nach dem Sein des Seienden als Ontologie. Diese Frage nach dem Sein gilt als exemplarisch leitender Fall, der zeigt, wie die einst urgestiftete Frage durch Überlieferung der Geschichte der Ontologie übernommen worden ist. Wenn das Dasein mit seiner mehr oder minder ausdrücklich ergriffenen Tradition in eins verfällt, nimmt die Tradition der dagewesenen und als solchen tradierten Fragemöglichkeit die eigene Führung und das eigene Fragen ab. Dieser Modus des (ausdrücklichen oder nicht) Sichüberlieferns der Tradition übernimmt die dagewesene Fragemöglichkeit nur innerhalb der Grenzen, in denen sie dagewesen ist. Auf diese Weise schließt dieses Sichüberliefern das ursprünglichere Fragen über die inneren Möglichkeiten des Überlieferten hinaus aus. Wenn die Frage nach dem Sein von Generation zu Generation innerhalb jener Grenze angeeignet wird, dann verfällt das Dasein an die Tradition und fragt nicht selbst in einer ursprünglicheren Weise, als es durch die Tradition vorgegeben ist. Im Gegensatz zu diesem Verfallen können Durchsichtigkeit hinsichtlich der eigenen möglichen Existenz und Ursprünglichkeit des Fragens bezüglich der anfänglichen Erfahrung Kriterien für dessen Beurteilung werden: Je weniger ursprünglich und durchsichtig das Fragen nach dem Sein des Seienden ist, desto mehr verfällt es der Überlieferung. Damit wird aber impliziert, dass Tradition in sich selbst nicht verfallend ist, und dass sie nur verfallend ist, insofern sie nicht ursprünglich und durchsichtig fragen lässt.
Im Gegensatz zu der verfallenden Tradition gibt es auch die Möglichkeit einer positiven Aneignung der ursprünglichen Erfahrung durch ein ausgearbeitetes Fragen, das mit einem methodischen Schritt anfängt. Da das Dasein sich selbst und das Sein überhaupt aus der Welt heraus als den Bereich versteht, der die Mannigfaltigkeit von Seienden umfasst und damit eine Sedimentation des ontologischen Verständnisses erwächst, die als gegebene Ontologie vorausgesetzt wird, soll die Seinsfrage ihre Geschichte durchsichtig machen. Aus diesem Grund "bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen." (Heidegger 1979, 22). Solch eine Aufgabe wird verstanden "als die am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden." (Heidegger 1979, 22). Die verhärtete ontologische Tradition soll aufgelockert und die durch sie gezeitigten Verdeckungen der einmal ursprünglich geschöpften Seinsbestimmungen abgelöst werden. Zu diesem Zweck tritt der Begriffeiner Destruktion der Ontologie als ein methodischer auf, der nicht im alltäglichen, üblichen negativen Sinne der Zerstörung verstanden werden darf. Auch hat die Destruktion nicht "den negativen Sinn einer Abschüttelung der ontologischen Tradition." (Heidegger 1979, 22). Im Gegenteil soll sie die ontologische Tradition "in ihren positiven Möglichkeiten, und das besagt immer, in ihren Grenzen abstecken, die mit der jeweiligen Fragestellung und der aus dieser vorgezeichneten Umgrenzung des möglichen Feldes der Untersuchung faktisch gegeben sind." (Heidegger 1979, 22); d. h. als methodisches Verfahren verfolgt die Destruktion das Ziel, die verdeckenden Schichten hinsichtlich ihres positivsachlichen Gehalts abzutragen, um zu den primären ontologischen Erfahrungen vorzudringen. Anders gesagt, als positives, methodisches Verfahren versucht die Destruktion die ursprüngliche, ontologische Erfahrung, d. h. die dagewesenen Möglichkeiten ontologischen Fragens, zu verstehen. Mit Bezug auf die Fortsetzung des so identifizierten ersten Schrittes sei es hier erlaubt, Folgendes zu bemerken: In dem Kontext unserer Arbeit kann die Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von Sein, so wie sie wirklich in dem veröffentlichten "Sein und Zeit" entwickelt worden ist, als die positive Entfaltung dieser Frage gelten. Dementsprechend bezieht sich unser nächster Schritt auf das, was eine solche Ausarbeitung für eine Reflexion über den Zusammenhang von Sprachlichkeit und Tradition ermöglicht.
Die Analyse der Überlieferung aus der Perspektive des Sprachansatzes in "Sein und Zeit" macht es möglich, die hermeneutisch-phänomenologische Reflexion über die Tradition, die in diesem Werk ontologisch von dem Frage nach dem Sinn des Seins geleitet wird und auf sie konzentriert ist, in dem Sinne zu erforschen und zu erweitern, dass Aspekte dieser Reflexion als Hinweise für eine ausdrückliche Untersuchung über die Tradition entwickelt werden können. Folgendes ist zu erinnern: Solange die Frage nach dem Sinn des Seins nicht auf ihre sprachliche Dimension reduziert werden kann, kann sie auch nicht ohne ihre sprachliche Dimension verstanden werden. Damit ist also zu unterstreichen, dass die Aufgabe selbst der philosophischen Reflexion als Frage bestimmt worden ist und folglich, dass ferner das Fragen der Nukleus der hermeneutischphänomenologischen Methode wird, so wie sie in "Sein und Zeit" als fundamental-ontologisches Unternehmen entfaltet ist. Der dargestellte Sprachansatz ist also dazu geeignet, diese Methode durchzuführen. Die Reflexion über die Tradition in "Sein und Zeit" stützt sich auf diese grundlegende Artikulation, in der das Leitthema Methode wird und beides sprachlich bestimmt worden sind.
Darüber hinaus liegt ein Grund für die ausdrückliche Erweiterung des Fragens nach dem Sein durch die Reflexion über die Tradition, so wie wir gesehen haben, darin, dass das Verfallen an die Tradition des ontologischen Verständnisses von Sein ihre Grundaffinität zu dem Verfallen an das innerweltliche Seiende zeigt. Das Verfallen an das innerweltliche Seiende geschieht als ein existierendes Abfallen von mir selbst, weil meine Möglichkeit, den geworfenen Entwurf ursprünglich zu vollziehen, nicht durchgeführt wird. In eigentlicher, ursprünglicher Weise vollzieht sich der geworfene Entwurf, wenn die Seinsmöglichkeit in der Gegenwendung gegen die nivellierend-verschließende, öffentliche, vom Man-Selbst bestimmte Ausgelegtheit in selbsteigener Weise aufgeschlossen wird. Ebenso werden das Verfallen an das innerweltliche Seiende und das Verfallen an die Tradition des ontologischen Verständnisses von Sein nicht im ursprünglich vollzogenen und in sich selbst durchsichtigen, geworfenen Entwurf aufgeschlossen. Damit fließt die im Dasein liegende Möglichkeit, sich seine Existenz durchsichtig zu machen, mit der Möglichkeit zusammen, nach dem Sinn des Seins überhaupt zu fragen. Dieses Parallelisieren mit Bezug auf das Verfallen hat als Pendant die Möglichkeit eines Zusammenlaufens von Wiederholung der Frage nach dem Sinn des Seins und Erschlossenheit der Existenz des Daseins. Diese Möglichkeit liegt schon in dem Begriffdes Daseins selbst. In der neuen Deutung des Daseinsbegriffes wird gerade betont, dass "im Titel 'Dasein' [...] das Da nicht nur der Titel für die Erschlossenheit der Existenz, sondern der begriffliche Titel für die universelle Erschlossenheit des Seins im Ganzen [ist]." (von Herrmann 2005, 17).
Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt der hermeneutischen, phänomenologischen Ontologie der Tradition, der den Titel haben könnte: Überlieferung ist in der Zukunftverwurzelt4, und zwar so, dass sogar die ursprüngliche Aneignung der Überlieferung auf die Zukunftgerichtet ist. Die Überlieferung zeigt demnach ihren Wesenscharakter, geschichtlich zu sein, und zwar so: "Das Dasein 'ist' seine Vergangenheit in der Weise seines Seins, das, roh gesagt, jeweils aus seiner Zukunfther' geschieht'." (Heidegger 1979, 20); die Geschichte hat "ihr wesentliches Gewicht weder im Vergangenen, noch im Heute und seinem 'Zusammenhang' mit dem Vergangenen, sondern im eigentlichen Geschehen der Existenz, das aus der Zukunftdes Daseins entspringt." (Heidegger 1979, 386). Sofern die Möglichkeiten, in denen das Dasein im aufschließenden Entwerfen auf sich zukommt, ererbte Möglichkeiten, Möglichkeiten dagewesenen Daseins, sind, geschieht es nur aus dem Vollzug der existenzialen Zukunft, des Auf-sichzukommens. Das Dasein gewinnt den Zugang zu seiner Tradition nur über seine existenziale Zukunft. Wenn die ursprüngliche Aneignung der Überlieferung auf die Zukunftgerichtet ist, können der Rückgang "auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden" (Heidegger 1979, 22) und die Forderung nach einer historischen Ausarbeitung der Seinsfrage "um sich in der positiven Aneignung der Vergangenheit in den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeiten zu bringen" (Heidegger 1979, 21) auf die Analyse der Tradition als solche übertragen werden. Die Folge ist, dass eigene Überlieferung einen positiven Rückgang zur Vergangenheit im Sinne einer produktiven Aneignung erfordert.
Wenn Überlieferung in der Zukunftverwurzelt ist und folglich die eigene Überlieferung eine produktive Aneignung der Vergangenheit erfordert, dann wird Überlieferung eine Aufgabe, die aus der Gegenwart entworfen wird. Damit kommt im Verhalten des Daseins der Tradition gegenüber ihr mögliches Seinkönnen ins Spiel, und zwar im Licht des primären Entwurfs. Demzufolge wird diese Aufgabe der produktiven Aneignung der Überlieferung zur möglichen Sinnerschließung.
Nachdem der Begriffder Rede in seiner vielschichtigen Artikulation aufgezeigt wurde, und zwar als Struktur des In-der-Welt-seins, als durch Eigentlichkeit bzw. Uneigentlichkeit charakterisiert und als von dem Horizont der Zeitlichkeit geprägt - Determinationen, die ihre Einheit in der Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn des Seins finden - gewinnen die Begriffe von Bedeutung und Sinn eine neue integrierte Bestimmung. Aus dieser neu gewonnenen Sicht schließt die Erschließung des Sinnes sowohl das sich Verhalten des Daseins gegenüber seinen Möglichkeiten und das Mögliche selbst, als also auch die mögliche Seinsoffenheit, die durch das Fragen nach dem Sein vollzogen werden kann, ein. In diesem Sinn ist Sinnerschließung eine neue Bildung des In-der-Welt-seins, des Verhaltens gegenüber dem Möglichen, des Zeitigens der Zeitlichkeit und des Seinsverständnisses. Nach dieser integrierten Bestimmung der Sinnerschließung tritt die Rede als die Gelenkstelle des Übergangs vom Möglichen (Sinn) zum Wirklichen (Bedeutung) auf. Die Welt der schon festgesetzten und geordneten Bedeutungen ist immer schon eröffnet worden. Aber das Wirkliche ist nur eine bestimmte Gestalt des möglichen Sinnes, der schließlich vom Sein bestimmt ist: "Das Sein erhält den Sinn von Realität. " (Heidegger 1979, 201). Noch mehr, "Streng genommen bedeutet Sinn das Woraufhin des primären Entwurfs des Verstehens von Sein." (Heidegger 1979, 324). Der Punkt, der den Sinn artikuliert, ist das Sein, wie es im primären Entwurf erschlossen wird. Von dieser ersten Bildung des Sinnes durch den primären Entwurf des Seinsverständnisses hängt aller Sinn ab: "Das Seiende 'hat' nur Sinn, weil es, als Sein im vorhinein erschlossen, im Entwurf des Seins, das heißt, aus dessen Woraufhin verständlich wird." (Heidegger 1979, 324). Mit diesem Bezug des Sinnes auf das Sein erhält die Sinnerschließung einen permanenten, beweglichen Charakter, der seinerseits auf das Verständnis der angeeigneten, aus der Sprachlichkeit her verstandenen Überlieferung die zusammenfassend folgende, entscheidende, rückwirkende Implikation aufzeigt. Der seinshermeneutische Ansatz zur Sprache, so wie er in "Sein und Zeit" erläutert worden ist, trägt dazu bei, die hermeneutische, phänomenologische Ontologie der Tradition, auf die in diesem Werk hingewiesen wird, aus der Perspektive der Dimension des Redens der Sprache zu potenzieren. Obwohl diese hermeneutische, phänomenologische Ontologie der Tradition durch die leitende Frage nach dem Sinn des Seins gelenkt wird, kann sie erweitert werden und sich auf das Phänomen der Überlieferung als solches richten. Auf diese Weise ermöglicht diese Ontologie eine weitere Erforschung des Umfangs, in welchem das Wesen der Überlieferung durch die Sprachlichkeit bestimmt ist.
1 Aus der zahlreichen Bibliographie über die Sprache in "Sein und Zeit", erwähne ich hier diejenigen Arbeiten, von denen ich in dieser Arbeit Gebrauch gemacht habe: (Kelkel 1980); (Martel 2008, 165-234); (Stassen 1973).
2 Die Idee, dass das Dasein radikal geschichtlich ist, wird im Heidegger 1979, § 74 ("Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit") analytisch aufgewiesen.
3 Damit möchte ich nicht übersehen, dass bei Gadamer nur von der "vollen hermeneutischen Bedeutung" (Hervorhebung D.L.) die Rede ist, womit der schriftliche Charakter nicht als notwendige Bedingung gesetzt ist. (Gadamer 1972, 367).
4 Der Text lautet: "Die Geschichte hat als Seinsweise des Daseins ihre Wurzel so wesenhaftin der Zukunft" (Heidegger 1979, 386), und weiter "Aus den in der Zukunftverwurzelten Phänomenen der Überlieferung und Wiederholung wurde deutlich [...]" (Heidegger 1979, 386f).
Literaturverzeichnis
Gadamer, Hans- Georg. 31972. Wahrheit und Methode. Tübingen: J. C B. Mohr.
Heidegger, Martin. 151979. Sein und Zeit. Tübingen: M. Niemeyer.
von Herrmann, Friederich W. 2008. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung vom Sein und Zeit III. Frankfurt/M: Klostermann.
von Herrmann, Friederich W. 2005. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung vom Sein und Zeit II. Frankfurt/M: Klostermann.
von Herrmann, Friederich W. 1987. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung vom Sein und Zeit I. Frankfurt/M: Klostermann.
Kelkel, Aron. 1980. La Légende de l' être. Langage et poésie chez Heidegger. Paris: J. Vrin.
Martel, Christoph. 2008. Heidegger's Truths. Truth, Reference, and Being a Person in "Being and Time" / Heideggers Wahrheiten. Wahrheit, Referenz und Personalität in "Sein und Zeit". Berlin - New York: W. de Gruyter.
Stassen, Manfred. 1973. Heideggers Philosophie der Sprache in Sein und Zeit und ihre philosophisch-theologischen Wurzeln. Bonn: Bouvier.
Daniel LESERRE *
* Independent researcher, National Council of Scientific and Technological Research, Ciudad de Buenos Aires, Argentina; e-mail: [email protected]
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Abstract
Tradition and Language according to “Being and Time”. The article takes its point of departure from Gadamer’s idea that language is the essence of tradition. Accordingly, it explores the suggestion that the hermeneutical approach to language according to Being and Time shows a fruitful path to understand the problem of tradition thematically. However, in contrast to Gadamer’s approach which underlines the written aspect of tradition, it stresses its discourse dimension. The interpretation of tradition from the multi-layered concept of discourse (Rede) expands the reflection on tradition in Being and Time and allows to conceive it as both: a productive appropriation of the past with regards to the future and the crossing point between the possible, the sense ( Sinn) , and the “real”, the meaning (Bedeutung).
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