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In der Nacht zum achten August des Vorjahres verstarb in Wien der Arabist und Orientexperte Walter Dostal.1 Der langjährige Ordinarius des Institutes für Völkerkunde (seit 2002 Institut für Kultur- und Sozialanthropologie) der Universität Wien wurde am 15. Mai 1928 im Städtchen Králíky, damals Grulich, welches heute auf tschechischem Territorium liegt, geboren. Dieser, auf den ersten Blick unwichtig erscheinende, Kontext der geographischen Lage birgt bereits erste Weichenstellungen fur den Lebensweg und die spätere persönliche Entwicklung, sowohl des Wissenschafders, als auch des Menschen Walter Dostal. Hineingeboren in eine konsequent antifaschistisch orientierte Familie, und zugleich in die Situation stetig wachsender ethnisch, sowie rassistisch genährter Spannungen, wurden für ihn zwei Begegnungen im Frühsommer 1945 prägend, welche er in einem Lager nahe der Stadt Brünn erlebte: An den tschechischen Wachtmeister, der ihm seine Essensration überlassen hatte, sollte er sich lebenslang erinnern. Als dem damals 17-jährigen Dostal befohlen wurde eine Grube, offensichtlich sein Grab, auszuheben, wurden ihm die Ausweglosigkeit der Lage und sein naher Tod bewusst. Nur die unerwartete Handlungsweise eines russischen Soldaten, der ihm be- fahl sofort wegzulaufen, rettete sein Leben. Die Solidarität mit ihm, dem Ausgelieferten, und die Weigerung des Anderen, sich einer scheinbar übermächtigen autoritären Instanz zu fügen, beeindruckten Walter Dostal zutiefst. Diese Ereignisse sollten wenig später seine Studienwahl beeinflussen und zeidebens war seine Haltung gegenüber der kulturellen und sozialen Differenz Anderer von großer Achtung bestimmt.
Die direkte Erfahrung mit unterschiedlichen Blickwinkeln, und den damit verbundenen handlungsleitenden Entscheidungen, hatten sein Interesse an der Analyse sozialer Verhältnisse geweckt. Nach einem kurzen Umweg über die Philosophie begann er in Wien Völkerkunde zu studieren. Zwei Faktoren entfalteten nun ihre Wirksamkeit und wurden für ihn entscheidend: Zum Einen erregte die sture, und die Existenz empirischer Daten geradezu negierende, Lehre der Wiener Schule der Völkerkunde, nach intensiver Beschäftigung mit dieser Forschungsrichtung, seine strikte Ablehnung für jede Art präwissenschaftlicher Spekulation. Zum Anderen erfuhr er wichtige Impulse durch den Orientalisten Joseph Henninger (1906-1991) und den Ethnologen, Asienexperten und Sprachwissenschaftler Robert Heine-Geldern (1885-1968), welcher 1950 wieder nach Österreich zurückgekehrt, am Wiener Institut lehrte.
1952 promovierte Walter Dostal mit der Schrift Eine ethnologisch-linguistische Studie über das Problem der semitisch-sprechenden Völker und wurde 1954 Kustos der Vorderasien-Sammlung des Wiener Museums fur Völkerkunde. Als junger Ethnologe widmete er seine Studien (1955 und 1957) zunächst einer sozial benachteiligten, marginalisierten und...